Moral und Kirchenzucht im Absolutismus

Für Ahnenforscher ist es sicher interessant, wie unsere Ahnen lebten:
Auf dieser Seite finden Sie den Inhalt von kulturhistorischen Vorträgen zur

     Moral und Kirchenzucht im Zeitalter des Absolutismus
                         
anhand von Sittenprotokollen
                    
von Wilhelm Streng, Rektor a.D. in Hochdorf
                                       
© Wilhelm Streng

Wilhelm Streng hatte dazu in den Jahren 1988 bis 1999 mehrere Vorträge gehalten, deren Texte der Webmaster besitzt. Quelle: Kirchenkonvents- Protokolle aus dem Kreis Ludwigsburg, besonders von Poppenweiler und Hochdorf,
etwa im Zeitraum von 1700 – 1800.
Der Webmaster hat diese Texte nach Themen sortiert nachfolgend zusammengefasst.
Wilhelm Streng finden Sie hier auf der Seite „Linie: Streng – Poppenweiler“ als #12.

Sie finden nachfolgend diese Themenbereiche
(bitte ggf. mit den Tasten  “Strg” + “f” suchen):
Zunächst eine kleine Zeittafel für Württemberg aus nachfolgendem Text
Damaliges Papier
Gute alte Zeit
Historie nach dem 30jährigen Krieg
Obrigkeit, Landeskirchen, Kirchenkonvent, Sittengerichte, Absolutismus
Armenfürsorge und Hilfeleistungen für Bedürftige, Diakonischen Bereich, soziales Netz
Kirchenkasse
Obdachlose
Bekleidung
Sonntägliches Opfer
Gottesdienste, Sonntagsschule Gebetsstunde
Pflicht zum regelmäßige Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes
Lärmen in der Kirche, Umgeher
Fehlen beim Kirchenbesuch
Auslaufen, Reisen
Schlafen während des Gottesdienstes
Heiligung des Sonntags, Sonntagsruhe
Kegeln und Kartenspiel
Lärm auf der Straße, Ruhe
Fluchen, Schwörbüchse
Spitzeltum, Anzeigenpflicht für Ärgernisse, Denunziationsgebühr
Spitzeltum innerhalb der Familie
Ausgehsperre, Sperrstunde
Tanzen
Alkohol, Trunkenheit, Saufgulden, Nachtgulden
Karz, Lichtkärze, Spinnen, Spinnstuben
Vorehelicher Sex, Zusammenschlupfen junger Leute
Hochzeit von Schwangeren
Kopulationsbuch, Frühgeburten
Unehelichen Geburten
Ehestreitigkeiten
Stellung der Frau, Kriegsvogt
Schulordnung,
Schul - Visitationsberichte
Fehlen in der Schule, Ungehorsamsgulden
Unterrichtsstunden, Schule schwänzen
Sonntagsschule
Hexen und Teufel
Die „Gute Alte Zeit“
 

Zunächst eine kleine Zeittafel für Württemberg aus nachfolgendem Text
1534: Reformation wird in Württemberg durch Herzog Ulrich eingeführt.
1559: Großen Württembergischen Kirchenordnung.
1559: Herzog Christoph  strebt die allgemeine Schulbildung - auch für Mädchen – an.
1634: Schlacht  bei Nördlingen, in der von 6000 Württemberger Soldaten  4000 fielen
1642: Örtliche Kirchenkonvente -  Sittengerichte - werden ins Leben gerufen.
          Gegen das Urteil gibt es keinen Widerspruch.
1649: Herzog Eberhard III. führte  die allgemeine Schulpflicht verbindlich ein.
1666: Ab jetzt wird das Wirken des Kirchenkonvents von Poppenweiler protokolliert.  
1712: In allen Wirtschaften muß eine "Schwörbüchse" aufgestellt werden, in die für
          jeden Fluch 15 Kreuzer einzuwerfen waren.
1782:  Die letzte Hexenverbrennung.
1817:  Die Leibeigenschaft wird in Württemberg aufgehoben .
1820:  Ab jetzt dürfen Verurteilte binnen 24 Stunden beim Gemeinschaftlichen Oberamt 
            den „Recurs“ ergreifen (Widerspruch einlegen).
1871:  Die auf 22 Uhr angesetzte Polizeistunde wird abgeschafft.
1887:  Die Kirchensteuer wird eingeführt.
1889:  Die Kirchenkonvente - Sittengerichte - werden abgeschafft.
 

Moral und Kirchenzucht im Zeitalter des Absolutismus
oder
Widerspruchsloser Gehorsam ist erste Christenpflicht
von Wilhelm Streng
© Wilhelm Streng

Seit Jahrzehnten befasse ich mich mit den kulturgeschichtlich ungemein wertvollen und ergiebigen Kirchenkonventsprotokollen, und ich habe bereits viele Vorträge darüber gehalten. Ungezählte Protokolle – vom Pfarrer geschrieben - wurden in jedem Ort geführt, die viele Bände füllen und höchst interessante Einblicke in das kulturelle Leben unserer Ortschaften vor etwa  250 Jahren bieten.

Damaliges Papier
Und nun schlagen wir die Protokolle auf und begeben uns in eine Zeit zurück, in der man noch auf aus Lumpen hergestelltes Papier mit dem Gänsefederkiel schrieb; mit einer Tinte, die man aus Blattgallen selbst zubereitete und die man in ein Rinderhorn füllte, das man während des Schreibens in der linken Hand hielt; und die man anstelle eines Löschblatts mit feinstkörnigem Streusand ablöschte.

“Gute alte Zeit”
Wir müssen uns vor einer großen Gefahr hüten: Vieles aus den Sittenprotokollen wird uns von heutiger Warte aus als maßlos übertrieben erscheinen, als ungehörige, ja peinliche Einmischung in privateste Sphären, als lächerlich, anmaßend, komisch. Uns hier aber als Richter über damalige Gepflogenheiten aufzuspielen, müssen wir uns hüten -wissen wir, wie man einst in 200 Jahren über uns und unsere Zeit urteilen wird? Und wir Heutige nehmen uns doch ernst?!  Genau so ernst müssen wir die damaligen Zeitumstände nehmen, müssen versuchen, uns in die damalige Ordnung einzufühlen, wenn wir auch vieles nicht mehr billigen und sogar verurteilen - es sind ja unsere Ahnen, aus deren Alltag wir erfahren;  und wenn wir uns dessen bewußt sind, werden wir davor bewahrt, im Sinne einer Sensationspresse billige Unterhaltung zu suchen und uns hochmütig über unsere Altvordern zu amüsieren.

Historie nach dem 30jährigen Krieg
In der ersten Hälfte des 30-jährigen Krieges hatte Württemberg im allgemeinen weniger zu leiden, aber nach der vernichtenden Niederlage der Protestanten in der Schlacht bei Nördlingen 1634, in der von 6000 Württemberger Soldaten  4000 fielen, geriet vollends alles aus den Fugen. Württemberg wurde von Österreich besetzt. Der junge Herzog Eberhard III. floh ins Exil ins sichere Straßburg, wo er es sich allerdings gut gehen ließ, einen Berg Schulden aufhäufte und 1637 sogar heiratete.
Als sich die Lage wieder etwas beruhigte - so weit man das bei den Schrecknisssen des 30-jährigen Krieges überhaupt sagen kann - , und der Herzog im Oktober 1638 nach Stuttgart zurückkehrte, fand er ein ruiniertes Land vor, dessen Dörfer und Fluren verwüstet waren.

Württemberg wurde ein Tummelplatz von feindlichen und verbündeten Kriegshorden - es machte dies kaum einen Unterschied! -, von Österreichern, Bayern, Spaniern, Kroaten, Schweden, Sachsen und Franzosen. Städte und Dörfer wurden eingeäschert, das Land verwüstet. Was der Soldateska entkam, fiel der Hungersnot und der Pest zum Opfer, und manche Dörfer waren völlig menschenleer, wie z.B. Hochdorf. Was noch dem Tode entronnen war, flüchtete hinter die Mauern Marbachs oder Heilbronns, oder noch weiter.
 

Obrigkeit, Landeskirchen, Kirchenkonvente, Sittengerichte, Absolutismus
Seit der Reformation, die in Württemberg 1534 durch Herzog Ulrich eingeführt wurde, waren die Landesherren der evangelisch gewordenen Fürsten- und Herzogtümer auch oberste Landesbischöfe ihrer "Landeskirchen" (wie sie nun genannt wurden) - denn die bisherigen Strukturen der nun 'abgelösten' katholischen Kirche konnten in den nunmehrigen evangelischen Landen ja nicht beibehalten werden. Neue Formen bzw. Hierarchien wurden gesucht und auch gefunden im "landesherrlichen Kirchenregiment", in der Staatskirche. Es war eine Entwicklung über zwei Jahrzehnte, die erst unter Herzog Christoph in der "Großen Württembergischen Kirchenordnung" von 1559 ihren Abschluß fand.

Nach dem 30jährigen Krieg schmolz Württemberg auf weniger als ein Drittel seiner Bevölkerung zusammen, und dieser Rest war zum großen Teil verroht, verwahrlost, außer Rand und Band. Um dieser sittlichen Verwilderung zu steuern, wurden durch ein Synodalreskript vom 29. Juli 1642 örtliche Sittengerichte ins Leben gerufen. Zuerst, 1642, in den Amtsstädten, dann, als sich die Einrichtung bewährte, 1644 in allen Ortschaften und Dörfern des Herzogtums.

So finden wir, von der herzoglichen Regierung ausgehend, zwei obrigkeitliche Stränge, die aber bis zu ihren untersten Ebenen, dem Schultheißenamt und dem Pfarramt, immer in Zusammenarbeit verbunden blieben, so die beiden letztgenannten Ämter im "Gemeinschaftlichen Unteramt", und über ihnen das "Gemeinschaftliche Oberamt", also das Oberamt (heute : Landratsamt) und das Dekanatsamt in Fragen, die beide Teile berührten.

Es waren dies örtliche Sittengerichte, die Zucht und Ordnung wieder herzustellen hatten und das gesamte öffentliche und private Leben überwachen sollten; und zwar in allen Bereichen, in denen man nur irgendwie ethisch-moralische Maßstäbe anlegen konnte.
Das waren die Kirchen- Censuren oder Kirchen- Konvente, mit dem Pfarrer als Vorsitzendem, dem der Schultheiß, der Kirchenpfleger (genannt Heiligenpfleger) und einige unbescholtene Bürger (genannt Richter) zur Seite standen.  Diese kirchlich-weltlichen Sittengerichte sollten Zucht und Ordnung wieder herstellen und die Laster bekämpfen. Und zu den "Lastern" gehörten nicht nur Betrug, Trunkenheit, Ehebruch und voreheliches Beisammensein, sondern auch Fernbleiben vom Gottesdienst, Kartenspielen und Kegeln am Sonntag oder Tanz in der Wirtschaft. Damit ja keine Übertretung der Sittenvorschriften ungeahndet blieb, war jeder Bürger verpflichtet, alle "Ärgernisse" anzuzeigen, die er in öffentlichen oder privaten Bereichen beobachtet hatte. Dann wurden die Schuldigen vorgeladen, aufs genaueste verhört, wobei man auch die intimsten Fragen nicht scheute, und bei Schuldspruch mit Verwarnung, Geld oder Ortsarrest bestraft.

Der Kirchenkonvent als kirchlich-weltliches Sittengericht befasste  sich mit allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens: Mit dem Kirchenbesuch und der Sonntagsheiligung, mit der Aufsicht über Schule und Berufsausbildung, mit dem ehelichen und dem vorehelichen Leben, mit dem Benehmen in der Öffentlichkeit und in den "eigenen" vier Wänden, mit Armenunterstützung und Krankenhilfe usw. Alle diese Bereiche durchzieht jedoch wie ein roter Faden das obrigkeitliche Denken. Man wußte nichts von heilsamen Gesprächen und taktvollen Hilfen, von psychologischer Eheberatung und behutsamer Therapeutik, von Trinkerheilstätten und Erziehungsheimen und und und - nach dem Brauch des Absolutismus wurde alles „von oben" verordnet; und das betraf nicht nur den Herzog mit seiner Regierung in Stuttgart und die Kreisregierungen! Das setzte sich fort über die Oberämter und Gemeinschaftlichen Oberämter bis zu den Schultheißenämtern und den Gemeinschaftlichen Ämtern und den Kirchenkonventen. In den Kirchenkonventen hatte der Pfarrer als Vorsitzender und Schriftführer eine absolut dominierende Stellung. Sein Stellvertreter war der Schultheiß; automatisch auf Grund seines Amtes war auch der Heiligenpfleger (heute: Kirchenpfleger) dabei. Außerdem gab es noch zwei oder drei Beisitzer aus den Reihen der Dorfrichter (den heutigen Gemeinderäten). Diese waren einschließlich des Schultheiß  einfache Bauern oder Handwerker ohne besondere Vorbildung (ich spreche nicht von den wenigen Städten, sondern von den vielen Dörfern), und so überließ man Meinungsbildung und  Urteilsfindung meist dem Pfarrer.

Diese Beisitzer wurden nicht etwa durch die Einwohnerschaft gewählt, sondern Pfarrer und Schultheiß gemeinsam bestimmten sie! Kein Bürger erhob Einwände gegen diese Handlungsweise, denn alle befanden sich ja noch im Zustand der Leibeigenschaft, die in Württemberg erst am 1.Januar 1817 aufgehoben wurde - und außerdem war man im Zeitalter des Absolutismus sowieso an Gängelung und Gehorsam gewöhnt ! Alles wurde "von oben" huldvollst verordnet und "von unten" ergebenst ausgeführt. Das begann bei der Regierung und setzte sich fort bis in die untersten Instanzen. So fühlte sich auch der Kirchenkonvent als absolute Autorität und Obrigkeit , die laut Protokoll 1726 einem "Angeklagten" einschärfte „.. der Beschuldigte möge bedenken : Die Obrigkeit sitze an Gottes Statt, und Gott seie mit im Gericht ....“

Der Kirchenkonvent verhängte Geldstrafen und hatte auch das Recht, ins Arreststübchen einzusperren. Dabei verließ man jedoch sehr oft, wie wir noch hören werden, den seelsorgerlichen Bereich, dem eigentlich ein "Kirchen"konvent verpflichtet sein sollte und näherte sich den staatlichen disziplinären Maßnahmen.

Gegen wen etwas vorlag, der wurde vorgeladen. Und hierzu kam mancher schneller, als er glaubte, denn jede "Unordnung" (und was alles hierunter zählte, werden wir noch hören!) mußte angezeigt werden; das Anzeigen gehörte zur Untertanenpflicht – freundlich nachbarliches Wegsehen wurde bestraft. Gegen eine Vorladung gab es keine Weigerung - notfalls mußte der Büttel Gewalt anwenden und hatte das Recht, als „Hilfsscheriffs" einige starke Männer zu verpflichten!

Wer als Vorgeladener meinte, es in seinem Auftreten vor dem Konvent an der nötigen Achtung fehlen lassen zu dürfen, wurde schnell eines besseren belehrt : So wurde Christian Weber  "..wegen seines unverschämten groben Betragens vor dem Kirchenkonvent, da er seine Kappe durchaus nicht abgezogen und mit der Faust auf die Bank hineingeschlagen" , einige Stunden im Ortsarrest eingesperrt. Oder : Stefan Sauerzapf hatte sich Mut angetrunken und „redete so verwirrt und einfältig", daß dies der Kirchenkonvent als Affront betrachtete und ihn „zur Aufrechterhaltung des obrigkeitlichen Ansehens" vom Platz weg erst mal 24 Stunden in die Arrestzelle sperrte ! Als Gottlieb Busch es wagte, sich mit verschränkten Armen hinzustellen, empfand dies der Pfarrer als unverschämte Provokation und verwies ihm diese Haltung nachdrücklich - man hatte die Arme bescheiden hängen zu lassen!

In einem evangelischen Kirchenlied aus dem Jahr 1789 heißt es:
Schaue Jesum Christum an:
Er war auch ein Untertan.
Tu wie Er ohn alle Not
deiner Obrigkeit Gebot!
Dieses Lied findet man in heutigen Gesangbüchern nicht mehr. Zwei 'Obrigkeiten' gab es damals: Die weltliche und die kirchliche, beide vereint in ihrer Spitze : dem absolut regierenden Herzog.

Doch nun genug der Theorie - schlagen wir die dicken Protokollbände auf !

Armenfürsorge und Hilfeleistungen für Bedürftige, Diakonischen Bereich, soziales Netz
Bald erwies es sich als ratsam, die Verhandlungen auch auf diakonische Bereiche auszuweiten, auf Armenfürsorge und Hilfeleistungen für Bedürftige; man kümmerte sich um den Schulbesuch und alles mögliche Andere. Und was nur als vorübergehender Notbehelf gedacht war, wurde schließlich eine feste Einrichtung, die über zwei Jahrhunderte andauerte und offiziell erst 1889 abgeschafft wurde.

Man durfte sich nichts vergeben und mußte auf "seine" Würde achten!  Deshalb war ehrfürchtige Bescheidenheit oberstes Gebot alle Bürger, die irgendeinen Antrag stellen wollten , z.B. auf Armenunterstützung. Sozialgesetze gab es noch nicht, und damit auch keinerlei Anspruch auf notfalls einklagbare Fürsorgeunterstützung. Diese war ein "gnädigst gewährtes Almosen", das man nicht "mit frechem Maul fordern" durfte, wie es zuweilen empört in den Akten heißt, sondern das man "gebührend in bescheidener Weise“ erbitten mußte, wie immer wieder vermerkt ist. Und so lesen wir z.B.  1757 im Antrag einer alten, arbeitsunfähigen Witwe : „ .... und bittet sie auch wehemütig , sich ihro anzunehmen und ihr um Gottes willen aus dem Heiligen (=Kirchenkasse, heute : Kirchenpflege) ein wöchentliches Almosen zu reichen". „Flehentlich erbeten" und “gnädigst gewährt": Das waren Ausdrucksweisen, die die Regierung erwartete - und diese Haltung setzte sich in der obrigkeitlichen Hierarchie fort bis hinunter zur untersten Dorfbehörde!

Ich beginne mit etwas sehr Sympathischen: Mit dem diakonischen Bereich, in dem der Staat noch keine Aufgaben übernommen, sondern alles der Kirche überlassen hatte, die damit für das gesamte "soziale Netz“, wie wir heute sagen, zu sorgen hatte. Es gab ja noch keinerlei gesetzliche soziale Absicherung: Keine Krankenkasse, kein Arbeitslosengeld, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Unfall- und Witwenrenten, kein Altersruhegeld. Alles war der persönlichen Vorsorge überlassen, und wer für Unglücksfälle oder für sein Alter nicht das Notwendige ansparen konnte und auch keinen größeren Grund- oder Hausbesitz hatte, der war auf öffentliche Armenhilfe angewiesen, auf die örtliche Kirchenkasse, den "Heiligen", aber diese Mittel waren so beschränkt, daß zwar das Überleben des Einzelnen gesichert, aber nichts darüber hinaus gegeben werden konnte. Und hier war es wichtig, daß man das Bürgerrecht besaß und nicht ein im Ort nur geduldeter "Beisitzer" oder gar ein Ortsfremder war. Diese Tatsache verdeutlicht ein Protokoll von 1751: Das Ehepaar Haisch war gestorben, war ohne jegliches Vermögen gewesen, und hatte zwei Kinder hinterlassen. Während aber sonst Waisen versorgt und notfalls auf Gemeindekosten in das herzogliche Waisenhaus in Stuttgart eingekauft wurden, sah man hier keine Möglichkeit zur Hilfe, denn die Haischs hatten aus irgendwelchen Gründen, die aus dem Protokoll nicht ersichtlich sind, ihr Bürgerrecht verloren. Und so heißt es: "...weil Veit Haisch zwar von hier gebürtig war, sein Bürger recht aber schon vorlängst verloren hat, so hat man weiters keine Vorkehrung der Versorgung dieser Kinder halber machen können ...“. Man forderte also die ebenfalls arme Verwandtschaft der Haischs auf, ohne finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde die Versorgung der Kinder, die nun bereits seit Wochen bettelnd ihr Leben fristeten, unter sich zu regeln.

Doch auch das Bürgerrecht beinhaltete für den Inhaber keinen gesetzlichen Anspruch auf notfalls einklagbare  Fürsorgeunterstützung: Es war ein gnädigst gewährtes "Almosen", das man nicht "mit frechem Maul fordern" durfte, wie es empört in den Akten heißt, sondern das man "gebührend in bescheidener Weise", wie es bei der Behandlung von Anträgen immer geschrieben steht, erbitten mußte. So lesen wir z.B. 1757: "...bittet sie (=eine alte, gebrechliche, also arbeitsunfähige Witwe) auch wehemüthig, sich ihrer anzunehmen und Ihro um Gottes willen von dem Heyligen ein wöchentliches Allmosen zu raichen".
"Um Gottes willen"
war ein feststehender Ausdruck für alle die Fälle, in denen keine Rückzahlung vorgesehen war. Wir wollen Beispiele gewährter Unterstützung hören :
"Bei heutigem Kirchenkonvent ist Hanns Karrs Witwe, 68 Jahre alt, eine kränkliche Frau, die für sich nichts verdienen kann und kein Vermögen hat, und von ihren beiden Söhnen, die ebenfalls arm sind und kaum für sich zu leben haben, kaum erhalten werden kann, eines Beitrags höchst bedürftig erkannt worden, und ihr dahero, wenigstens für diesen Winter, ein wöchentliches Almosengeld von 8 Kreuzern zugewiesen worden".  8 kr wöchentlich: das war der Preis für anderthalb Pfund Rindfleisch. Rechnen wir in heutige Verhältnisse um, so stellen wir fest, daß diese Frau eine wöchentliche Unterstützung von etwa 12 DM erhielt; die tägliche Kraut- oder Brotsuppe mit nichts darin - Kartoffeln waren ja noch unbekannt - war also vorprogrammiert!

Doch auch diese geringe Unterstützung war nur der letzte Ausweg, wenn es keine eigenen Möglichkeiten mehr gab: "Elisabetha Johann Meiers, Bürgers und Schäfers, Witwe allhier, bittet um ein wochentliches Almosen. Da sie nun bettelarm ist, weder Haus noch Güter hat, auch von ihren zwei Kindern, davon der eine unter die herzoglichen Soldaten gekommen, der andere aber als Schafknecht dient, keine Hilfe sich versprechen kann, sie selber auch mit den Augen und Ohren, und auch sonst nicht wohl fortkommen kann, so wird ihr ein Beitrag um Gottes willen schon zu gönnen sein, womit sie aber noch diesen Sommer, da sie sich mit Ährenlesen und Arbeiten fortzubringen trachten solle, zuzuwarten hat; und sodann auf den Winter Ihro ein Wochentliches geschöpft werden solle." Dieser Beschluß wurde im Juni gefaßt, und man hielt Wort: In der Sitzung vom 9. Dezember erhielt sie dann eine wöchentliche Unterstützung von 4 kr bewilligt!

Kirchenkasse
Jeder Kreuzer, den der Heilige ausgab, mußte sich zuvor in der Kirchenkasse befinden, und da hier "Ebbe" ein Dauerzustand war, war höchste Sparsamkeit geboten. Man war auf jeden Kreuzer angewiesen, und jeder, der unnötig ausgegeben wurde, fehlte an anderer Stelle. Und das heißt: Sobald sich für einen Unterstützten eine Verdienstmöglichkeit ergab, wurde die gewährte wöchentliche Unterstützung sofort wieder gestrichen. Hierzu lesen wir 1792 in einem Protokoll : "Weilen die Anna Doblin gegenwärtig mit Gänsehüten etwas Geld verdient, so wurde dem Heiligenpfleger (=heute: Kirchenpfleger) anbefohlen, mit Auszahlung des derselben angewiesenen wöchentlichen Almosens bis auf weiteres innezuhalten".  Heutige Schlaumeier würden wahrscheinlich auf den Gedanken kommen, die angebotene Arbeit als Gänsemagd - sie erbrachte pro Gans und Monat 2 Heller – als 'unzumutbar' oder wegen 'altersbedingter Gebrechlichkeit' abzulehnen und weiterhin Fürsorgeunterstützung zu beantragen: das war damals nicht möglich – ein Arbeitsverweigerer wurde als Tagdieb bezeichnet und in den Ortsarrest gesperrt. War es doch auch gang und gäbe, diejenigen, die Schulden bei der Gemeinde hatten, zwangszuverpflichten, ihre Schulden im Taglohn beim Wegebau oder anderen kommunalen Vorhaben abzuarbeiten!

Es war auch nicht möglich, als Almosenempfänger bei einem Verwanden unterzukommen und sich dadurch etwas von der Unterstützung zu ersparen: Weil eine "Almosenempfängerin" dadurch ihr "Almosen" "nicht aufgebraucht, sondern einen Sparhafen davon anlegen können", wurde ihr "Wochentliches auf die Hälfte heruntergesetzt"!

Eine infolge Krankheit gewährte Erhöhung der Unterstützung wurde nach Genesung sofort wieder gestrichen: "Inmaßen Judith Leierin wieder gesund ist und wohl fortkommen kann wie zuvor, so solle der zu ihrem wochentlichen 3-kr-Almosen zugelegte 1 kr wiederum eingestellt, und wie zuvor wiederum 3 kr gereichet werden".

Alkohol - Liebhabern wurde die Unterstützung sofort gestrichen, und so können wir z.B. 1782 lesen: "Da Christoph Maier, der bisher vom Almosen-Geld wochentlich 6 kr hat, sich schon verschiedene Mal mit Saufen übersehen, und auf eine liederliche Art viel ersammeltes (=erbetteltes) Geld vertan, so wurde, da er gezeigt, daß er des Almosens ganz unwürdig seie, ihm dasselbe auch von heute an genommen".

Bei plötzlich eintretenden Notfällen half der Kirchenkonvent sofort. Es gab ja bei Arbeitsunfällen weder eine Lohnfortzahlung (meist wurde im Taglohn geschafft) noch eine Unfallversicherung, und wenn plötzlich der Ernährer ausfiel, konnte die Familie in bitterste Not geraten: "Dem Jakob Wörl, Ziegelknecht, welchem durch eine Eiche der Fuß entzwei geschlagen worden, hat man wegen seiner Dürftigkeit und gehabten Kosten 1 Gulden bei dem Heiligen angewiesen". Für einen Gulden bekam man damals ein Paar Schuhe - wenn wir in heutige Verhältnisse umrechnen, waren das also etwa 150 DM - nicht gerade übermäßig viel für einen  zerschmetterten Fuß!

Da es keine Krankenkasse gab, konnte eine arme Familie tüchtig in die Klemme geraten: "Michael Krämer, Bürger und Fischer, bittet um einen Beitrag zu den Arztkosten wegen seines 12jährigen Töchterleins, welches er bei 12 Wochen lang durch einen Regiments-Feldscher zu Ludwigsburg an einer Entzündung im Maul curiren lassen mußte. Wird ihme als einem Mann von 6 unmündigen Kindern, wozu er gar geringe Nahrungsmittel hat, vom Heiligen um Gottes willen 2 fl zu reichen bewilliget".

Oder: „Jörg Erler, Bürger und Fährmann, bittet um einen Beitrag zu den Arztkosten wegen seines 11jährigen Töchterleins, so den Arm gebrochen und bei 8 Wochen den Barbier über sich gehen lassen mußte. Wird ihme als einem Mann von 7 sämtlich unmündigen Kindern, wozu er bettelarm ist, 2 fl vom Heiligen um Gottes willen gereichet“ .  Oder: "Christian Forcher, Bürger und Weber, kränklich, und zum Schaffen derzeit ganz untüchtig, der dabei noch 6 Kinder im Haus zu versorgen hat, bittet um ein wochentliches Almosen bis zu seiner Genesung. Wird ihme wochentlich 4 kr zu reichen verordnet".

Wegen der unzureichenden Verhältnisse in ärztlicher Versorgung, Hygiene und Ernährung in ärmeren Familien, kam es zu erschütternd vielen frühzeitigen Todesfällen, bei denen die Hinterbliebenen oft nicht in der Lage waren, die Beerdigungskosten zu bezahlen. Als Beispiel wähle ich den eben erwähnten Weber Christian Forcher, der wenige Monate nach seinem Almosenantrag starb. Wir lesen: "Christian Forchers Wittib, als eine bettelarme, mit 6 teils kränklichen Kindern versehene Mutter, bittet um einen Beitrag zu ihres seligen Mannes Leichkosten, und werden ihr auch, um der sehr großen Dürftigkeit willen, 2 fl 30 kr zu reichen bewilliget“.

In manchen Jahren jedoch überschritten die notwendigen Unterstützungen die Mittel des Heiligen, der Kirchenkasse, und dann wurde das sonst verbotene Betteln erlaubt: Zuerst wurden jedoch die Arbeitsunfähigen ermahnt, ihr "heuer geährtes aufzuzehren“ - damit ist gemeint, das beim Ährenlesen auf den abgeernteten Feldern Aufgesammelte erst mal zu verbrauchen; dann sollten sie sich beim Kirchenkonvent melden, „nach dessen Gutachten ihnen erlaubt wird, von Haus zu Haus Brot sammeln zu dürfen".  Doch hierbei mußte Ordnung herrschen: Die beiden Wochentage, an denen der einzelne betteln durfte, wurden genau festgelegt und in ein Blechschildchen eingestanzt, das der Betreffende anzustecken hatte. Dieses Blechschild wurde von der Kirchenpflege, dem 'Heiligen', ausgegeben - merken Sie nun,
woher der Ausdruck: "Heilig's Blechle!" stammt ?

Manchmal, besonders, wenn nach Mißernte und damit verbundener Teuerung die Not stieg und vom Heiligen nicht mehr zu meistern war, wurde von der Regierung oder vom Oberamt eine besondere Hilfsaktion verordnet: Die "vermöglichen Personen" hatten anzugeben, wieviel Pfund Brot oder wieviel Geld sie wöchentlich beim Heiligen zur Verteilung an die Ortsarmen abliefern wollten. Meist jedoch klappte es mit der freiwilligen Einschätzung nicht recht, und dann wurden die Bürger, denen eine kleine Spende zugemutet werden konnte, kurzerhand vom Kirchenkonvent veranlagt! Wie jedoch aus den vielen erhaltenen Listen hervorgeht, waren es durchaus erschwingliche 'Summen': Für die Hälfte der Bürgerschaft ein Kreuzer oder ein Pfund Brot wöchentlich, bei den andern das Doppelte.

Obdachlose
Auch damals gab es schon Obdachlose, die das Geld für die Miete nicht aufbringen konnten, und denen der Kirchenkonvent ein Winterquartier beschaffen mußte. Zum Beispiel lesen wir da 1751: "Demnach Sara, Lorenz Baumanns Wittib, ein bettelarmes Weib von 76 Jahren, aus Mangel eines Unterschlupfs, mit ihrer Tochter und 2 Enkeln, den ganzen Sommer unter der Kelter gelegen, und bei anbrechendem Winter in kein Haus untergebracht werden konnte, weil sie keinen Hauszins (=Miete) zu geben vermögend ist: so wurde der Bedacht genommen, aus Erbarmen gegen dem armen Weib, einer anderen bedürftigen Person aus dem Heiligen wochentlich 6 kr reichen zu lassen mit der Bedingung, daß sie diese Leute ins Haus nehmen solle“!.  Diese Person wurde schließlich auch gefunden, und die Obdachlosen hatten damit ein Winterquartier.

In jeder Hinsicht kümmerte sich der Kirchenkonvent um Arme und Hilflose, und auch Ermahnungen in Fällen von Herzlosigkeit finden sich reichlich. So 1751: „Friederich Buchner, Bürger und Bauer, wurde vorgeladen und ermahnet, seine ledige Schwester Catharina, welche 47 Jahr, und krank und pfleglos in seinem Stall liegt, ins Haus und sich ihrer anzunehmen". Ihm wurde vorgehalten, daß er, als er vor vielen Jahren den Hof von seinem Vater übernahm, sich verpflichtet hatte, ledig bleibenden Schwestern "einen Unterschlupf in dem Haus zu belassen".  Er versprach schleunigst Besserung, denn in der damaligen obrigkeitlichen Zeit hatte der Kirchenkonvent genügend Machtmittel von der öffentlichen Anprangerung über die Geldstrafe bis zum Arrestlokal, und man war nicht zimperlich in deren Anwendung!

Brauchte ein Ortsarmer Kleidung, so wurde sie ihm zugewiesen; Bargeld gab es allerdings nicht!  Und so können wir z.B. lesen: "Auf Ansuchen der im Bettelhaus (=Gemeindearmenhaus) wohnenden Esther Appin wurde der Heiligenpfleger angewiesen, derselben ein Paar Schuh zu machen (er war im Hauptberuf Schuhmacher - es gab ja noch keine Schuhfabriken und Schuhläden; man mußte seine Schuhe beim Schuhmacher bestellen und anmessen lassen), und den Belauf mit 1 fl 20 kr aus der Kasse zu entnehmen".  Oder: Der Heiligenpfleger wurde "legitimiert“, dem Andreas Häußelmann ein Paar gebrauchte bocklederne Beinkleider (= die üblichen Kniebundhosen) von einem Trödler zu erkaufen und gegen Quittung aus dem Heiligen zu bezahlen.

Bekleidung
Die Bekleidung war mehr als dürftig. Aber zweimal im Leben war auch der Ärmste ordentlich angezogen: Zur Konfirmation und zur Hochzeit.

Bei der Hochzeit sorgte jeder selbst dafür, und es war für manchen Mann der einzige "Rock", der festliche Überzieher, der nun das ganze Leben am Sonntag getragen und sorgsam gehütet, und dann in der Hinterlassenschaft besonders erwähnt und taxiert wurde. Anders war es bei der Konfirmation: hier hatten noch die Eltern für die Bekleidung der Söhne und Töchter zu sorgen, und zuweilen mußte da der Heilige, also die Kirchenkasse, einspringen! Hören wir: "Um den Knaben des liederlichen Matthäus Zangel konfirmieren zu können, hat der Konvent, nachdem er zuvor von seinem Vater vernommen hat, daß er ihn nicht kleiden könne, beschlossen, demselben ein Paar tuchene Beinkleider, ein tuchenes Wams, eine Weste, ein baumwollenes Halstuch und ein Hemd anzuschaffen".

All diese Hilfen, und waren sie im einzelnen auch noch so gering, summierten sich doch zu beträchtlichen Ausgaben, denen natürlich die entsprechenden Einnahmen gegenüberstehen mußten. Das waren zum einen die Zuschüsse durch den Staat bzw. die Ortsherrschaft, die Gülten und der Kleine Zehnte - doch das gehört nicht zu meinem heutigen Thema. Zum andern kamen die Gelder aus der Einwohnerschaft als Spenden und testamentarische Vermächtnisse und als sonntägliches Opfer beim Gottesdienstbesuch. Die heute übliche Kirchensteuer wurde in Württemberg erst 1887 eingeführt.

Sonntägliches Opfer
Mit dem sonntäglichen Opfer haperte es zuweilen gewaltig: Es fanden sich an Stelle von Münzen zu viele flache Steinchen im "Klingelbeutel", der vom Mesner an einer Stange herumgereicht wurde. Ein findiger Kirchenkonvent kam daher 1744 auf die Idee, das sonntägliche Opfer abzuschaffen und durch eine feste Abgabe zu ersetzen: Sämtliche Bürger wurden aufs Rathaus befohlen (es waren nur die Männer mit Bürgerrecht, Frauen hatten nichts zu sagen!) und nun mußte jeder in eine Liste eintragen, wieviel er künftig monatlich zu opfern bereit sei!  In diesem Dorf trugen 41 Bürger 3 Heller, also einen halben Kreuzer, ein; 14 Bürger zeichneten mit 1 kr ; 10 Bürger mit 2 kr; 1 Bürger mit 3 kr; 5 Bürger, darunter der Pfarrer, der Müller und der Ziegeleibesitzer mit 4 kr. Das waren also monatlich 771/2 kr = 1 fl 17 kr 3 H  -  für ein Dorf mit 71 Familien, also etwa 350 bis 400 Einwohnern sehr wenig - aber immer noch mehr als die Steinchensammlung zuvor!

Wir können verstehen, daß unter diesen Umständen die Strafgelder eine sehr willkommene Einnahmequelle waren! Und mit diesen Straftaten, den sogenannten "Verbrechen", die heutzutage fast alle nicht mehr geahndet würden, wollen wir uns nun beschäftigen, denn dies war der ursprüngliche Aufgabenbereich des Kirchenkonvents.

Gottesdienste, Sonntagsschule Gebetsstunde
Sonntags gab es zwei Gottesdienste (Vormittagsgottesdienste und am Nachmittag  Sonntagsschule) und jeden Freitag am Spätnachmittag die Gebetsstunde, die einmal im Monat zum Bußtagsgottesdienst erweitert wurde. Der Sonntagvormittagsgottesdienst dauerte gewöhnlich zwei Stunden, davon allein die Predigt eine Stunde.
Die Plätze in der Kirche  wurden durch den Kirchenkonvent zugewiesen und mußten meist bezahlt werden.

Die älteren Jugend hatte nicht nur den normalen Gottesdienst zu besuchen, sondern auch die „Kinderkirche“  (hier war der Pfarrer zuständig) und die „Sonntagsschule“ (beim Schulmeister).  Lassen wir uns nicht durch die Bezeichnungen täuschen: Beides begann nach der Konfirmation, und pflichtig war man bis zur VolIjährigkeit - und mündig wurde man damals mit 25 Jahren.  Nur eine Heirat mit Erlaubnis der Eltern beendete diese Pflicht vorzeitig. Daß hier nicht mehr viel  sonntägliche Freizeit blieb, ist offensichtlich; und mit den Tricks, die versucht wurden, diesen Zwang mal zu umgehen, und mit den Strafen, die verhängt wurden, könnte ich allein einen Vortrag bestreiten!

Pflicht zum regelmäßige Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes
Der Kirchenkonvent kümmerte sich zwar um alle Gebiete des täglichen Lebens, aber weil es sich um eine kirchliche Einrichtung handelte, wollen wir auch mit kirchlichen Angelegenheiten beginnen - und dazu gehört vor allem der regelmäßige Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes. Er war Pflicht, und unbegründetes Fehlen wurde bestraft. Manche Verhandlungen über - nach Meinung des Kirchenkonvents - nicht stichhaltige Entschuldigungen können den Leser der Protokolle direkt zum Schmunzeln bringen.

Wie z.B. 1788: „Anton Lechner, Bürger und Schneider allhier, wurde wegen seiner Versäumung der Gottesdienste vorgefordert und, ihm die nötigen Erinnerungen gegeben; mit der Verwarnung, daß man bei fernerer Beharrlichkeit geschärftere  Maßregeln gegen ihn ergreifen werde“. Um Strafen zu vermeiden, gab man als Entschuldigung meist Krankheit an, denn das konnte am wenigsten nachkontrolliert werden - und wer konnte hier eine Unwahrheit nachweisen?

Vorsicht war bei Ausreden geboten, denn wer beim Belügen des Kirchenkonvents  ertappt wurde, mußte mit einer Strafe von 1 ½ Gulden rechnen – und dafür fertigte der Schuhmachner ein Paar Maßschuhe an (andere gab's nicht; Konfektionsware war noch unbekannt).

Als der vorgeladene Ernst Motzer seine Abwesenheit am vergangenen Sonntagsgottesdienst damit entschuldigte, seine einzige  Sonntagshose sei am Gesäß zerrissen gewesen, schmetterte der Konvent dies als Ausrede ab : Sein Gehrock (= der damals übliche knielange Überzieher) würde ja den Riß bedecken! Ähnlich ging es dem Schreinermeister Mengele, der erkältet war und seine Nebensitzer nicht durch Niesen anstecken wollte. Ihm wurde vorgehalten, daß er ja seine Werkstatt auch nicht geschlossen habe, um die Kundschaft nicht durch Niesen anzustecken: man könne also seine Entschuldigung nicht anerkennen.

Mit dem Kirchenbesuch scheint man seine Schwierigkeiten gehabt zu haben, und die Klagen und Strafen wegen schlechter Besuchsmoral der Gottesdienste ziehen sich wie ein roter Faden durch die Protokolle. Und wenn man bei der Verhandlung auf alle Ausreden verzichtete und ungeniert seine Meinung sagte, konnte dies böse Folgen haben, wie dies 1691 Catharina Köpfin erleben mußte. Um dies zu verstehen, müssen wir berücksichtigen, daß damals der Gottesdienst zwei Stunden dauerte, darunter die Predigt allein über eine Stunde. Als also die Catharina vorgeladen und verhört wurde, warum sie letzten Sonntag in der Kirche gefehlt habe, gab sie zu Protokoll, wegen des langen Kirchgehens könne sie ihren Kindern kein richtiges Mittagessen kochen, und überhaupt "habe sie ebensoviel, ob sie nun zur Kirche gehe oder nicht!" Zuerst wurde ihr die übliche Geldstrafe von 15 Kreuzern aufgebrummt (der Preis für 1 kg Rindfleisch), aber da sie als anerkannte Ortsarme kein Geld hatte, "ist sie mit dem Zuchthäuslein abgestraft worden" - damit ist das örtliche Arrestlokal gemeint.

Die Dauer des Arrests ist im Protokoll nicht vermerkt - üblicherweise werden es 4 bis 6 Stunden gewesen sein. Das ist nicht viel - aber darauf kam es auch gar nicht an. Es gab noch kürzere Arrestzeiten - die Dauer war unwichtiger, Wirkung zeigte die Schande, denn eine Arrestverhängung sprach sich schnell im Dorf herum; und außerdem war man damit "vorbestraft", was bei künftigen Vergehen zu Buche schlug! Und die höhnischen Blicke der lieben Nachbarschaft wirkten mehr als eine Geldstrafe!

Lärmen in der Kirche, Umgeher
Diese 2stündigen Gottesdienste hatten auch zur Folge: Die Burschen zwischen 14 und 25, die nicht bei den Vätern saßen, sondern beieinander ihre eigenen Sitze hatten, verloren oft die Aufmerksamkeit und begannen, sich zu unterhalten, gar zu lachen oder Unfug zu treiben. Da die Männer des Kirchenkonvents auch einmal jung gewesen waren, kannten sie dieses Verhalten, und deshalb wurde für jeden Gottesdienst ein Aufsichtführender beauftragt, als sogenannter "Umgeher" auf der Empore, wo die Jugendlichen ihren Platz hatten, für Ordnung zu sorgen und jeden aufzuschreiben, der nur ein Wörtchen sprach - denn es hatte absolutes Stillschweigen zu herrschen.

Eine Unmenge von Geld- und Arreststrafen wurde hier ausgesprochen, und wir wollen ein Beispiel von 1832 hören: "Von dem aufgestellten Aufseher über die ledigen Burschen wurden die Brüder Christian und Friederich Sauer, und Thomas Becher als Ruhestörer während des Sonntagsgottesdienstes angegeben. Diese wurden daher am heutigen Tage vorgeladen und einem jeden von ihnen 6 Stunden Arrest angekündigt“.
Wurde jedoch das Schwätzen der Burschen zu laut, und waren es zum Einsperren zu viele, wurde der Schulmeister in seiner Eigenschaft als Mesner beauftragt, an Ort und Stelle durchzugreifen; 1781: "Es wurde dem Schulmeister aufgegeben, die Buben auf der Orgel (=es waren keine kleinen Buben, sondern Burschen bis zu 25 Jahren, die auf der Empore neben der Orgel ihren Platz hatten), die schwätzen und Unordnung treiben, mit dem Stecken zur stillen Aufmerksamkeit und Ordnung anzuhalten".

Fehlen beim Kirchenbesuch
Alle Register zog die Dorfobrigkeit, um möglichst vollständigen Kirchenbesuch zu erreichen, und 1688 wurde sogar einmal die gesamte Bürgerschaft aufs Rathaus befohlen und unter Androhung von Geld- und Arreststrafen ermahnt, zum Sonntagsgottesdienst zu erscheinen. Heut würde eine "gesamte Bürgerschaft" in keinen Rathaussaal passen, aber damals schon, denn unter diesen Kreis zählten nur die erwachsenen Männer mit Bürgerrecht -und dazu musste man mindestens 25 Jahre alt sein. Alle andern, Frauen, Knechte, Mägde, Beisitzer usw. hatten nichts zu bestimmen und blieben außen vor. Der Hausherr war für alle verantwortlich.

Eine Kontrolle über das Fehlen war leicht, denn jeder und jede hatte einen festen Platz, der bezahlt werden mußte; aber der Kauf galt auf Lebenszeit. An Hand der Sitzliste konnte der "Umgeher", der für Ruhe und Ordnung Sorgende während des Gottesdienstes, - es durfte kein Wort geschwätzt werden! - eine Abwesenheit leicht feststellen. Den "Umgeher" zur Gottesdienstzeit gab es auch im Dorf, denn mit dem Läuten der Glocken zum Kirchgang hatte jede Tätigkeit auf den Straßen und Gassen aufzuhören - und das mußte ja schließlich durch Kontrollgänge durch den Ort überwacht werden ! Wasser durfte nicht mehr vom Brunnen geholt werden, und die Kinder mußten im Hause eingesperrt werden, denn ihr lärmendes Spielen "auf der Gass" hätte ja die Sonntagsruhe gestört. Auch den Wirten war zur Kirchzeit jeglicher Ausschank bei Strafe verboten, und als einmal ein Wirt während des Nachmittagsgottesdienstes in der Zeit irrte und zu früh mit dem Ausschank wieder begann, gab es eine lange Strafverhandlung.

Öfters suchte man dem Verhör zu entgehen: 1800 "sollte Philipp Baumann vernommen werden, warum er in der Kirche fehlte; er ließ sich aber entschuldigen, weil er krank sei". Übrigens: Wer wissen möchte, welche Wehwehchen ein Mensch überhaupt haben kann, braucht nur all diese Entschuldigungen nachzulesen: Die Skala reicht vom Kopfweh über Zahnschmerzen bis zu Bauchgrimmen und zum verstauchten Fuß! 
Auch Verliebtheit schützte nicht vor Strafe: Als 1730 die Katharina Weilerin mit einem beurlaubten Soldaten währen der Gottesdienstzeit über Feld spazierenging, wurde sie dafür 3 Stunden lang in den Ortsarrest gesperrt!

Auslaufen, Reisen
Ein Dorn im Auge war den Pfarrern und den Kirchenkonventen das "Auslaufen" am Sonntag, also das Verlassen des Ortes zu einem Besuch auswärts; denn wenn es sich nicht gerade um den Nachbarort handelte, ging da der ganze Sonntag drauf, und sowohl der Vormittags- als auch der Nachmittagsgottesdienst wurden versäumt. Nicht nur, daß die "Straßen" heutigen Feldwegen glichen, es gab weder Omnibusse noch Fahrräder, und die berühmten Postkutschen waren sowieso im Hinterland unbekannt und wären außerdem zu teuer gewesen. Eine Kutsche besaßen nur die adligen Ortsherrschaften, und Ackergäule nur die wenigen Hofbauern. Die Masse der Landwirte ließ die Pflüge durch Kühe ziehen, und mit einem Kuhgespann konnte man ja keine Überlandfahrt unternehmen!

Also blieb nur der langwierige Fußmarsch. Mußte man aber deswegen den ganzen Sonntag abwesend sein, hatte man zuvor die Erlaubnis des Pfarrers einzuholen. Versäumte man dies, so drohte unweigerlich eine Bestrafung, so z.B. 1730: "Johann Rieger, Ochsenwirt, welcher am Sonntag Judica ohne Erlaubnis über Feld geritten, soll Straf erlegen 15 kr“. Verschärft wurde diese Strafe, wenn mit dem "Auslaufen" noch eine Art Arbeitsleistung verbunden war. 
1759: "Johann Kreß und sein Weib liefen am 2.Aaventssonntag aus und gingen nach Stuttgart und trugen Mais hinauf; sie werden vorgefordert, können’s nicht
leugnen und sagen, daß sie den Mais ihrem Bruder gebracht haben; werden wegen ihrer Schuld um 21 kr gestraft".  Das war etwa der Betrag, den eine arme alte Witwe als monatliche Unterstützung erhielt!

Schlafen während des Gottesdienstes
1708: Barbara Kochin wurde angeklagt, dass sie ungeachtet öfterer Verwarnung in der Kirche also schlafe; sie stellt dergleichen nicht in Abrede, entschuldigt sich aber, es sei ihr wegen der Kürze der Nächte in währender Sommerzeit und vieler Arbeit geschehen. Urteil: Ein solch Überschlafen wird ihro bei Erwartung ernstlicher Straf untersagt“.  Gab es also noch mildernde Umstände“, besonders wenn bei der Ernte im Sommer nur wenige Stunden für den Schlaf übrig blieben, so griff man hart durch, wenn andre Gründe im Spiel waren: 1704 wurde ein Knecht, der - müde von der morgentlichen Stallarbeit, und weil er wegen der sommerlichen Wärme einen Krug Most getrunken hatte - während der Predigt eingeschlummert war, um 15 Kreuzer gestraft - und das war etwa ein halber Wochenlohn !

Heiligung des Sonntags, Sonntagsruhe
In den Dörfern hatte am Sonntag andächtige Ruhe zu herrschen. Der Sonntag war also absoluter Ruhetag, und wie beim Kirchenbesuch zieht sich wie ein roter Faden die Klage durch die Protokolle wie etwa 1688, wo in einer Sitzung der Pfarrer "wider die ohnleidenliche Profanation der Heiligen Zeit", also des Sonntags, wettert.
Mit den Sonntagsarbeiten und den dafür verhängten Strafen könnte ich einen ganzen Vortrag bestreiten!  Aus der großen Fülle dieser "Verbrechen", wie sie genannt wurden, eine kleine Auslese:

1708 wird Elias Kleiber angeklagt, "er habe am heiligen Samstag abends so gejohlt, daß es eine Schand gewesen". Dafür wurde er zwei Stunden im Ortsarrest eingesperrt. Wir haben richtig gehört: Der Samstagabend gehörte bereits zum "heiligen Sonntag"!

Da strich ein Maler noch schnell am Sonntagmorgen einen Fensterrahmen, da setzte der Schmied eine (eine! ) Schraube in eine Wagendeichsel ein, damit der Wagen am Montag früh wieder fahrbereit war. Ein Mädchen holt während der Kirchzeit einen Eimer Wasser vom Brunnen, eine alte Frau trägt im Grastuch Gras für ihre Ziege nach Hause, ein Schreiner liefert eine bestellte Bettlade aus; ein Maurer löscht Kalk ab, weil der ihm sonst verdorben wäre; eine Frau pflanzt einige Setzlinge im Garten hinter dem Haus, damit sie nicht welken usw. 

In einer Verhandlung 1688 wandte sich der Pfarrer gegen den Müller, weil dieser am Sonntag mit seinem Esel einigen Bürgern ihr Mehl gebracht hatte. Beschwerden und Strafen in dieser Angelegenheit ziehen sich nun ein volles Jahrhundert durch die Protokolle hin - inzwischen wurde schon gegen den Urenkel des Müllers verhandelt - bis man endlich 1776 einen Schlußstrich unter diese leidige Sache zog und dem Müller rundweg das "Fleckenfahren" 'verbot (denn werktags hatte er dazu keine Zeit) und anordnete : "Jeder Bürger hat sich von nun an selbst sein Mehl aus der Mühle zu holen !"  Damals hatte man halt noch Geduld - 1688 begann der Streit, und erst die Enkel dieser Konventsrichter bereiteten ihm 1776 ein Ende!

Eine amüsante Geschichte möchte ich ihnen nicht vorenthalten und dem Protokoll nacherzählen: Andächtige Ruhe hatte nämlich bereits vor der Kirchentüre zu herrschen, wie zwei Burschen aus Poppenweiler erfahren mußten. Sie hatten bei irgendeiner Gelegenheit ein Hochberger Mädchen kennengelernt, wußten aber weder Namen noch Adresse. Heute wäre guter Rat teuer gewesen, aber damals nicht: Da Kirchenbesuch Pflicht war, musste die Gesuchte ja beim Gottesdienst zu treffen sein. Die beiden Burschen stellten sich also am Sonntag vor die Kirchentüre und schauten den dich nähernden Jungfrauen gespannt entgegen. Plötzlich erblickte der eine das gesuchte Mädchen und platzte heraus: “Da kommt sie !“  Solche Voreiligkeit mußten beide bitter bereuen, denn dieser durchaus weltlich gemeinte Ausruf, der gewiß nichts mit andächtiger Vorbereitung auf den bevorstehenden Gotteisdienst zu tun hatte, erboste den aufsichtführenden "Umgeher". Sofort nahm er die Personalien der beiden Personen auf.  Zum nächsten Kirchenkonvent wurden sie vorgeladen und erhielten zusammen wegen "ungebührlichen Betragens“ 42 kr  Strafe, also ein voller Taglohn für jeden. Aber das war ja noch nicht alles: Die beiden Pechvögel hatten ja durch ihre Anwesenheit in Hochberg den Gottesdienst in Poppenweiler versäumt und wurden nun auch dort belangt!

Auch die Samstage vor Festtagen als Feiertage, und das traf auch auf den Gründonnerstag zu, wie ein Metzger 1731 ebenso spürte wie 1725 ein Schuhmacher, der mehr an Strafe zahlen mußte, als ihm das Besohlen der Schuhe eingebracht hatte -bedenken wir, daß man gewöhnlich nur ein Paar Schuhe hatte, das natürlich sofort besohlt werden mußte - eine Woche warten, wie heutzutage beim Schuhmacher üblich, konnte man deshalb nicht! Teure Kirschen wurden es auch 1751, als sowohl Verkäufer als auch Käufer mit je 15 kr gestraft wurden.
Ein Weber, der am "heiligen Pfingstsamstag" (=die Samstage vor Festtagen waren auch heilig zu halten) eine Webarbeit des Vortages beendete, wurde genauso bestraft wie ein Bauer, der seinen Rest Äpfel mostete, oder ein Weingärtner, der den kleinen Rest Trauben, mit dem er wegen einbrechender Dunkelheit am Vortag nicht mehr fertig geworden war, am Sonntag früh vor der Kircheschnitt.

Die Einhaltung der Sonntagsruhe wurde genau im einzelnen vorgeschrieben und überwacht. So heißt es z.B. in Hochberg: Das Stricken und Nähen und andere Handarbeit auf der Gasse (also auf dem Bänkle), das sich vor jedem Haus für den gemütlichen Feierabendplausch befand, unterliegt einer Strafe von 45 kr“. Müttern mit Säuglingen war es auch verboten, Windeln schnell auszuwaschen und hinter dem Haus im Garten trocknen zu Iassen.

Da die Hausfrauen die Woche über genug in Garten, Feld, Acker oder Weinberg zu arbeiten hatten - es gab ja noch keine Maschinen -, wollten sie wenigstens die Brotbackerei am Sonntag in aller Frühe erledigen. Doch dem schob 1722 ein Kirchenkonvent einen Riegel vor und verordnete: "Ins künftige soll der Gemeinde verboten werden, am Sonntag zu backen".

Die gleiche Ruhe war für die Zeit des Nachmittagsgottesdienstes vorgeschrieben; auch das Verlassen des Dorfes war verboten. Hierzu lesen wir 1667: "Hans Maisch, der in dem verwichenen Sonntag unter der Mittagspredigt mit seinem Kind in die Haselnüsse gegangen, soll in den Heiligen (= die Kirchenkasse) 25 Kreuzer Strafe erlegen".  Welch große Summe das war, ersehen wir daraus, daß ein Taglöhner am Abend gerade 18 Kreuzer nach Hause brachte!

1754 erfuhr der Pfarrer, daß die ledigen Burschen sich gegenseitig besuchten und „rottenweise“ bei dem zusammensaßen, dessen Eltern die größte Stube hatten. Damit nun hier kein Unfug getrieben und etwa durch Kartenspielen der Sonntag entheiligt wurde, ordnete der Kirchenkonvent an, daß der "Umgang" (Kontrollgänger) verpflichtet sein solle, alle Häuser, in denen man eine Zusammenkunft junger Burschen vermutete, zu visitieren, ob der Sonntag auch mit dem nötigen Ernst begangen würde (heute wäre das Hausfriedensbruch!).  Am folgenden Sonntag verkündet der Pfarrer von der Kanzel den jungen Männern die Empfehlung, diesen Tag lieber mit der Lektüre eines frommen Buches zu verbringen. Und über die Buchbestände damaliger Dorfhaushalte wissen wir genau Bescheid, denn bei Todesfällen wurde die gesamte Hinterlassenschaft in den Inventur- Protokollen verzeichnet. Es gab nur: Bibel, Gesangbuch, Psalter, das "Paradiesgärtlein" (=fromme Geschichten), Heiligenlegenden und Andachtsbücher.

Egon Weiß, der erwischt wurde, wie er zur Kirchzeit unter einem Apfelbaum stand und einen Apfel aß, wurde "wegen Kirchenversäumnis und Diebstahls  8 Stunden ins "Gefängnis", also in den Ortsarrest gesperrt.

Die Verpönung der Sonntagsarbeit ging so weit, daß sogar einmal zwei Großmütter bestraft wurden, die am Sonntagnachmittag vor dem Haus auf dem "Schwätzbänkle" saßen und ihre auf der Straße spielenden Enkel beaufsichtigten. Was war ihr Verbrechen? Sie hatten währenddem Strümpfe gestrickt - also gearbeitet!

Fröhlichkeit, die sich sonntags jubelnd äußerte, war verpönt: Michael Völler, ein Bursch von 20 Jahren, der "letzten Sonntag abends beim Schlittenfahren auf dem Kelterplatz ein lautes Geschrei gehabt", wurde zur nächsten Sitzung vorgeladen und bekam seinen Denkzettel. Kegeln war verboten, tanzen auch - es waren schon triste Sonntage im pietistischen Württemberg!

Wehe, wenn solche "Übeltäter" dann noch widerspenstig waren: 1822 heißt es: "Veit Rahn ist angeklagt, daß er am Sonntag Holz gespalten (=nicht etwa seinen Wintervorrat, sondern er brauchte einige dünne Scheitchen zum Kochen des Mittagessens!), ist dessen beim Verhör überführt, und da er sich noch unverschämt betrug, mit 43 kr bestraft". Sein Betragen war straferschwerend gewesen, denn Gehorsam und Bescheidenheit waren oberste Bürgerpflicht.

Über die Einhaltung der Sonntagsruhe, die Heiligung des Sonntags, wurde genau gewacht. Absolute Arbeitsruhe war angeordnet, und weil deren Einhaltung manchmal schwer fiel, wurde sie der Bürgerschaft von Zeit zu Zeit eingeschärft. Hierzu einige Punkte aus den 1831 von  einem Kirchenkonvent erlassenen Vorschriften:

1. "Wer des Sonntags Vieh zum Verkauf anbietet oder sich vorführen läßt, wird mit einer Strafe von 1 Reichstaler belegt". Wir müssen hier richtig interpretieren: Es handelte sich nicht um den Kauf oder Verkauf - das hätte niemand gewagt -, sondern nur um eine informelle Besichtigung! in Reichstaler waren 1 1/2 Gulden.

2. "Das Waschen und Aufhängen von Wäsche am Sonntag ist verboten, ebenso das Arbeiten im Garten".

3. "Das Stricken und Nähen und andre Handarbeit auf der Gasse (=also auf dem 'Bänkle', das sich vor jedem Haus für den Feierabendplausch mit den Nachbarn befand) unterliegt einer Strafe von 45 kr.11.

Kegeln und Kartenspiel
Ebenso war wegen des damit verbundenen Lärms am Sonntag - auch nachmittags - das Kegeln , damals ein beliebter Volkssport wie heute Fußball, strengstens verboten und wurde empfindlich bestraft - aber immer wieder tauchen diese Bestrafungen auf, denn der Sonntag war eben fast der einzige Tag, an dem ein Taglöhner oder ein Bauernknecht Zeit für diesen lärmenden Sport hatte!
Doppelt wehe dem, der sich sonntags beim Kartenspiel antreffen ließ. Auch uns Heutigen ist ja noch der Ausdruck „des Teufels - Gebetbuch" bekannt, mit dem man damals in pietistischen Kreisen ein Kartenspiel bezeichnete.

So wurden beispielsweise 1710 vier Männer beim Kartenspielen erwischt. „Erwischt" ist schon der richtige Ausdruck, denn es waren eigens 2 Männer bestimmt,  die "Scharwacht", die sonntags im Dorf auf und abpatrouillieren und Gassen und Wirtschaften auf Einhaltung der Sonntagsruhe kontrollieren mußten.
Diese 4 Kartenspieler wurden alsmitsamt dem Wirt vorgeladen und bekamen nach kurzem Verhör ihr Urteil verkündet: Den Spielern wurden jedem 45 kr aufgebrummt - dafür bekam man 4 1/2 kg Rindfleisch ! Aber besonders hart traf es den Wirt, der wegen drei "Verbrechen" bestraft wurde:
1. weil er in seinem Lokal überhaupt das Kartenspielen geduldet hatte: 4 1/2 fl; 
2.erschwerend, weil dies am Sonntag geschehen war – das wurde als Sonntagsentheiligung" extra mit 45 kr geahndet;
3. weil dabei die Polizeistunde (22 Uhr ! ) überschritten worden war: nochmals 2 fl!
Das waren insgesamt  9 fl 45 kr, und dafür bekam man 4 fette Gänse – und wenn man bedenkt, daß man voriges Weihnachten (1990) für eine fette deutsche Gans etwa 80 DM bezahlen mußte, war das eine Strafe von rund 350 DM, also eine drakonischen Strafe!

Es erübrigt sich wohl zu bemerken, daß es im Zeitalter des Absolutismus gegen diese Urteile keine Einspruchsmöglichkeit gab. Erst ab etwa 1820 enthalten die Protokolle den Hinweis, daß dem Verurteilten eröffnet wurde, er könne binnen 24 Stunden beim Gemeinschaftlichen Oberamt  den „Recurs“ ergreifen (Widerspruch einlegen). Um ihnen aber die Scheinheiligkeit dieses Feigenblattes klarzumachen, müßte ich ihnen zuerst anhand der Schulvisitationsberichte des Pfarrers den Bildungsstand dieser einfachen Bauern und Weingärtner darlegen, siehe weiter unten.
Wichtigste Feststellungen der Protokolle waren ja die Aufzählungen, wieviele Sprüche und Choräle auswendig gelernt worden waren. Hinzu kommt, daß diese Leute bis zum November 1817 Leibeigene gewesen waren. Sie waren viel zu unbeholfen, um beim Gemeinschaftlichen Oberamt einen Einspruch einzureichen - und auf Hilfe hierbei konnten sie nicht rechnen!

Lärm auf der Straße, Ruhe
Nichts war mehr verpönt, als auf der Straße zu lärmen. Auch auf der Landstraße hatte man - besonders am Feiertag - Ruhe zu bewahren:  Am Pfingstmontag 1728 waren zwei Hochberger Burschen, Michel und Werner in Hochberg bei Bekannten oder Verwandten zu Besuch gewesen. Den Heimweg hatten sie gemeinsam angetreten, waren aber in der Dämmerung auseinandergekommen und hatten sich, noch in Ortsnähe, gerufen. Nun das weitere Protokoll: "...Michel und Werner können nicht in Abrede sein, daß sie jeder einen Schrei getan, da nämlich jener diesen gerufen, dieser aber Antwort gegeben, wobei Michel gejuchzet.  Michel aber behauptet, daß er gar keinen Tropfen Wein getrunken, auch in kein Wirtsbaus gekommen, aber trotzdem einen Juchu-Schrei getan". Alles war also völlig harmlos gewesen, aber es war halt am heiligen Pfingstmontag geschehen, und so wurden jedem 11 kr Strafe, auferlegt - mehr als ein halber Taglohn!

Oder: "Durch den Geistlichen wird vorgebracht, daß David Bronner am letzten Sonntag nachmittags in höchst betrunkenem Zustand zum allgemeinen Ärgernis auf der Straße gesehen worden sei, weshalb auf Untersuchung und Bestrafung angetragen wurde.  Bronner wird zu diesem Zweck vorgeladen und gibt alles zu. Der Konvent hat beschlossen, daß Bronner wegen diesem in höchstem Grad Ärgernis erregenden Benehmen zur Warnung für sich und andere mit einer Strafe von 24 Stunden Arrest angesetzt sei".

Fluchen, Schwörbüchse
Auch auf eine angemessene Auedrucksweise achtete der Kirchenkonvent, besonders war ihm das "Fluchen und Schwören“ ein Dorn im Auge. Mit  "Schwören" meinte man die Nennung Gottes oder des Heilands bei allen möglichen Beteuerungen, bei Ausdrücken der Überraschung, bei Mißfallens- und Schimpfwörtern - wir hören derlei Auedrücke auch heutzutage noch übergenug. 1684 wird zum ersten Mal protokollarisch festgehalten, daß das Fluchen in Poppenweiler allgemein üblich sei. In seinem Bestreben, dies zu ändern, beschloß der Kirchenkonvent, zwei Bürger zu beauftragen, auf Kontrollgängen - besonders in Wirtschaften - "auf die Fluchmäuler Achtung zu geben" und zur Bestrafung anzuzeigen. Aber eine Besserung trat nicht ein - und das war, wie die herzogliche Regierung mißbilligend feststellte, in ganz Württemberg nicht anders, so daß man zu einer drastischen Gegenmaßnahme griff : 1712 gab der Herzog als oberste Kirchenbehörde einen Befehl heraus, demzufolge in allen Wirtschaften eine "Schwörbüchse" aufzustellen sei, in die für jeden Fluch 15 Kreuzer einzuwerfen waren. Verantwortlich hierfür war der Wirt; den Schlüssel hatte der Heiligenpfleger (heute: Kirchenpfleger), dem sie der Wirt monatlich einmal zur Leerung bringen mußte.

Aus der übergroßen Fülle diesbezüglicher Protokolle möchte ich nun einige Beispiele anführen:
Josef Dreier, dem nur mal so "Potz Sapperment !" herausrutschte, mußte dies mit 15 kr büßen, und das war eine erkleckliche Summe, denn 20 kr brachte ein Taglöhner nach anstrengendem Arbeitstag abends nach Hause!  Oder: "Elisabeth Ummerin, „als ihr Samuel Blumhardts Weib vorgehalten, sie hätte ihr Gänslein erschlagen, schwur: der Teufel solle sie holen, wenn sie es getan habe !" Das wurde angezeigt, die Elisabeth wurde vorgeladen und erhielt die für Fluchen und Schwören festgesetzte Strafe von 15kr.

Oder : Jörg Gruber fuhr einige Säcke Korn zur Mühle, und weil er sich über die eine der beiden Kühe im Gespann ärgerte, fuhr es ihm heraus: „Daß dich der Blitz erschlag!“; das wurde natürlich sofort dem Pfarrer hinterbracht - Anzeige war Untertanenpflicht! - und der lud den Jörg zur nächsten Sitzung ; und wieder waren 15 kr zu Gunsten der Kirchenkasse fällig!
Ein ganz besonderer Pechvogel war Johann Zieher, der sich ausgerechnet vor dem Pfarrhaus über etwas ärgerte und fluchte: "Gottes Blitz !“ Der Pfarrer  hörte das durchs Fenster, und wieder wurde der Heilige (die Kirchenkasse) um ein kleines Sümmchen aufgebessert!
Beinahe ein Dauergast war der Müllersknecht, der laufend mit seinem störrischen Esel Ärger hatte und diesem alles auf den Hals wünschte !

Spitzeltum, Anzeigenpflicht für Ärgernisse, Denunziationsgebühr
Man kann sich nur immer wieder wundern : Es mußte damals eine richtige Anzeigesucht geherrscht haben - nichts blieb unangezeigt, alles wurde bemerkt und gemeldet; Jeder hatte eine gute Begründung dazu: Man war ja gesetzlich zur Anzeige jedes "Ärgernisses" verpflichtet! Niemand fühlte sich sicher. Das Dorf der "guten alten Zeit' war eben nicht der ungestörte harmonische Zusammenhalt, die festgefügte Dorfgemeinschaft, von der wir in verklärender Nostalgie sprechen. Hunderte von Protokollen belehren uns da eines Besseren ! Unerträglich für unsere Begriffe wurde das Hinterherspionieren bei den sogenannten "Unterbeamten", beim Büttel, Nachtwächter, Feldschütz und ähnlichen, denn sie erhielten als direkt so bezeichnete "Denunziationsgebühr" ein Drittel der auf ihre Anzeigen hin verhängten Strafen.

So scheute sich 1788 ein Büttel nicht, nachts in die Dachkammer einer Magd einzudringen, den dort vermuteten und auch wirklich anwesenden Knecht aus deren Bett zu ziehen, bis zum Morgen in den Ortsarrest zu sperren und dann anzuzeigen. Allerdings hatte er dann Pech: Da der Knecht wegen Armut zu Arrest und nicht zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, war es nichts mit dem Strafdrittel als Zusatzverdienst!

Wie wir bereits hörten, konnte eine Beteuerung, sobald sie mit einem Kraftausdruck verbunden war, ziemlich teuer werden: "Elisabetha Feistin hat ein freventliches Maul, so sie an Tag gelegt, als sie sich gegen Johannes Langen unter dem Abläugnen (=sie hat irgendeine Anschuldigung bestritten) vermessen und gesagt: ich will des Teufels sein! Wird deswegen zur Besserung auf 4 Stund ins Arrest gesperrt".  Über die Kürze des Arrests - in jedem Rathaus gab es das Arreststübchen - dürfen wir uns nicht wundern - es gab auch viele Verurteilungen zu  Stunden; nicht die Dauer war hier maßgbend - die abschreckende Wirkung des Ortsarrests bestand wie beim Prangerstehen in der Schande, denn ein derartiges Urteil sprach sich in den kleinen Dörfern schnell herum.

Sehr teuer wurde es, wenn man über seine Mitmenschen loszog, besonders, wenn diese schon verstorben waren. Das mußte Eva Pfeffer erfahren, die anscheinend mit ihrer Schwiegermutter kein gutes Verhältnis gehabt hatte. Wir lesen 1725 : "Eva, Josef Pfeffers Weib, hat von ihrer verstorbenen Schwieger öffentlich beim Brunnen gesagt, sie sei nicht mehr wert, als daß man sie ausgrabe und an den Füßen hänge !“  Hier wurde eine lange Verhandlung mit vielen Zeugenvernehmungen geführt, an deren Ende Eva mit 1 fl 26 kr gestraft wurde – und für dieses Geld hätte sie sich beim Schuhmacher das schönste Paar Schuhe machen lassen können!

Spitzeltum innerhalb der Familie
 Auch innerhalb der Familie sollte nach dem Willen des Kirchenkonvents die Anzeigepflicht bei "Ärgernissen" gelten. Und wenn das mal nicht klappte, so forderte der Konvent die Nachbarschaft zu erhöhter "Wachsamkeit" auf. So lesen wir 1751: "...und weilen die Mutter aus Blödigkeit Anstand nimmt, selber anzuzeigen, so wurde den Nachbarn aufgetragen, sobald sie wiederum Ärgerliches des jungen Burschen hören, solches bei dem Pfarramt anzuzeigen". 

Auch im eigenen Haus war es geraten, bei Familienfesten, Geburtstagsfeiern und ähnlichen mit Alkohol verbundenen Zusammenkünften Ruhe zu bewahren und vorsichtigerweise die Fenster geschlossen zu halten, sonst wurde man schnell das Opfer des pflichtbewußten Nachbarn, der seiner Bürgerpflicht genügte und das "Argernis“ zur Anzeige brachte, was dann im „Schnellgerichtsverfahren“, wie man heute sagen würde, abgeurteilt wurde: "Michael Rauch hat am Sonntag in seinem Haus allerhand Üppigkeiten und Unordnungen bis in die späte Nacht hinein gestattet; soll 43 kr Straf erlegen!"

Wenn aus einem Haus Klagerufe erschallten, wenn ein Ehepaar im Zank lebte oder gar ein Ehepartner zu EItern oder Geschwistern zog oder der Mann die  Frau vor die Tür setzte (und das konnte er, denn wenn die Frau bei ihm eingeheiratet hatte, blieb das Haus sein Eigentum) - gleich rannten die Nachbarn zum Pfarrhaus und erstatteten „pflichtmäßig“ Anzeige, und sofort wurden die beiden vor den Kirchenkonvent befohlen. Nur in ganz seltenen Fällen kam die Anzeige von einem der beiden Ehegatten selber - etwa bei „gewalttätigen Vollsaufens" des Mannes oder bei "bösem Maul“ oder “vertuerischer Haushaltsführung" seitens der Frau.

Ausgehsperre, Sperrstunde
Den Ausdruck "späte Nacht“ dürfen wir nicht in heutigem Sinn werten: Da um 22 Uhr jeder zu Hause sein mußte, wollte man nicht eine Anzeige durch den Nachtwächter und damit eine Bestrafung wegen „Nachtschwärmerei“ riskieren (von der der Nachtwächter als Ansporn ein Drittel erhielt), galt schon 21 Uhr als späte Nacht. Oder 1732:  „Maria Hämmerlin, in deren Haus man am grünen  Donnerstag gefressen, gesoffen und entsetzlich geflucht und geschworen, soll Straf erlegen 43 kr“. Diese Ausdrucksweise war damals üblich, auch beim Pfarrer, denn er schrieb ja das Protokoll.

Auch bei einem Familienkrach hatte man seine Zunge zu hüten und sich jedes "Zum Donnerwetter!“ oder  ähnlichen Kraftausdrucks zu enthalten . Und Armut schützte nicht vor Strafe: „Anna Burrin hat in ihrem Haus entsetzlich geflucht und geschworen, hat wegen Armut die citierten 15 kr nicht bezahlen können und die Straf im Arrest abgebüßt“.

Tanzen
Eine der vielen Aufgaben des Kirchenkonvents war, für Zucht und Ordnung zu sorgen und besonders über dem großen Bereich der Vergnügungen und Lustbarkeiten ein wachsames Auge zu haben.

Hier suchte der Konvent besonders dem Tanzen zu wehren. Das erscheint uns ganz unverständlich so lange wir nicht bedenken, daß ein uns heute selbstverständliches weibliches Kleidungsstück damals - zumal auf dem Lande - durchaus noch unüblich war: das Höschen unter dem Rock! Und ich möchte daran erinnern, daß als Höhepunkt des Tanzes die Burschen ihre Mädchen an den Hüften faßten und in die Höhe warfen - die Röcke flogen dabei auf und ab - und nichts war darunter!  Konnte man da die Gedanken noch fromm beim "Kirchweihfeste" haben? Das war natürlich schockierend in den Augen der gestrengen Sittenwächter! Tanz war deshalb nur in seltenen Fällen erlaubt und meist ausdrücklich beim Kirchweihfest verboten, da ja gerade an diesem Tage die Gedanken mehr der Kirche als dem weltlichen Vergnügen gewidmet sein sollten.

So gab es eine große Verhandlung, als ein Wirt in Neckarrems am Kirchweihsonntag 1753 einen Tanz zuließ. Nachdem die Umstände erörtert waren, unter denen der Tanz zustande kam, heißt es im Protokoll weiter: "Demnach nun aber hierdurch der Sonntag sowohl als die Kirchweih entheiliget, und dadurch ein Ärgernis angerichtet worden, der Wirt aber samt den beiden Musikanten keine Entschuldigung haben, weil sie gewußt, daß es gegen die Ordnung ist....“ - bis hierher das Protokoll. Und das "Urteil"?: Wirt und Musikanten wurden um je 43 kr gestraft!  - zum Vergleich: 20 kr waren der übliche Verdienst eines Taglöhners.

Aber tanzen war halt zu schön, und immer wieder kam hier und dort in einer Wirtschaft ganz spontan ein Tänzchen zustande, besonders, wenn Soldaten vorübergehend einquartiert waren, und prompt kam einige Tage später die Rüge durch den Konvent, der meist auch den wenigen Tänzern und Tänzerinnen (nicht den Soldaten - diese standen nicht unter der 'Gerichtshoheit' des Konvents !) 2 oder 3 kr Strafe aufdiktierte - viel Geld für diese jungen Leute, denn für einen Kreuzer bekam man fast ein Dutzend Eier. Und wir dürfen nicht vergessen: Der Jahreslohn einer Magd betrug neben Kost und Logis nur 20 Gulden, das sind monatlich 100 kr!

Da war es schon billiger, für 2 Heller sonntags mit der Fähre über den Neckar zu setzen und sich im katholischen Öffingen, wo die Sonntagsruhe nicht so wörtlich eingehalten wurde, zu vergnügen. Da hier alle Verbote des Pfarrers fruchtlos waren, ließ er einfach durch den Kirchenkonvent dem Fährmann verbieten, sonntags die jungen Leute überzusetzen!

Alkohol, Trunkenheit, Saufgulden, Nachtgulden
Die Arbeit unter der Woche war hart, und so ist es verständlich, daß man dann und wann gerne mal im Wirtshaus beisammen saß. Aber hier hatte Ordnung zu herrschen: Man hatte ruhig am Tisch zu sitzen, und um 22 Uhr war Polizeistunde.

1700 werden Johann Gras und Friedrich Klein beim Pfarramt angezeigt, daß sie "am letzten Sonntag die ganze Nacht hindurch sich vollgetrunken und erst am Montag morgen nach Haus gegangen" - es wird also etwa nachts zwei Uhr gewesen sein. Sie werden deswegen beide vor den Kirchenkonvent zitiert, „um ihnen die Vergehungen vorzuhalten und sie zu bestrafen. Für die Entheiligung des Sonntags wurden einem jeden 11 kr Strafe angesetzt".  Der schuldige Wirt bekam den "Nachtgulden" aufgebrummt, und den beiden Trinkern wurde angedroht, daß sie im Wiederholungsfalle mit einem "Saufgulden" bestraft würden. Das war viel Geld, denn ein Gulden hatte 60 Kreuzer, und das waren 4 Taglöhne für "Dung tragen oder spreiten".

Kartenspielen wurde während der Woche widerstrebend geduldet, war aber am Sonntag strengstens verboten, denn ein Kartenspiel galt als das "Gebetbuch des Teufels"! Die Unterhaltung war in ruhigem Ton zu führen, und als sich 1794 doch mal zwei Männer in die Haare gerieten, mußten sie das mit je 40 kr büßen; zum Vergleich: ein Geißkitz kostete 30 Kreuzer. Auch das Kegeln, das damals für die jungen Männer denselben Stellenwert hatte wie heute das Fußballspielen, war wegen des damit verbundenen Lärms am Sonntag nicht erlaubt.

Zur Ordnung gehörte auch, daß man im Wirtshaus genau beachtete, wieviel man vertrug, denn Trunkenheit wurde hart geahndet. Die Folgen übermäßigen Alkoholgenusses tauchen immer wieder in den Protokollen auf, und wir wollen einige Beispiele hören: 1851: "Es wurde angezeigt, daß Hans Kopf am letzten Sonntag, nachmittags, in höchst betrunkenen Zustand zum allgemeinen Ärgernis auf der Straße gesehen worden sei. Der Kirchenkonvent hat beschlossen, daß Kopf wegen dieserm im höchsten Grad Ärgernis erregenden Benehmen zur Warnung für sich und andere mit einer Strafe von 24 Stunden Arrest angesetzt sei“....

1790 wurde der Knecht Gustav Stolp erwischt, wie er in einer Scheune auf Stroh seinen Rausch ausschlief, und setzte ihm "wegen seiner Trunkenheit einen Saufgulden" an. Das war mehr als ein ganzer Wochenlohn!  Man brauchte nicht viel, um in "trunkenen Zustand" zu geraten, wie es oft heißt, denn man war das Trinken nicht gewöhnt: Armut und Geldknappheit verhinderten das im allgemeinen.

So wurde es auch einigen Spaßvögeln nicht schwer, 1719 einer Frau einen Rausch aufzuhängen, als sie in der Mühle etwas Getreide mahlen ließ und sich die Wartezeit mit einem Glas Wein verkürzen wollte:  "Jörg Sigels Hausfrau wurde befragt,
warum sie in der Mühle sich so vollgetrunken, daß der Schneider sie nach Haus führen üssen. Antwort: Daß sie getrunken habe und räuschig geworden, gestehe sie gern, sie habe aber nur einen Schoppen getrunken, jedoch haben ihr es andere Leut ein paarmal zugetrunken, es sei ihr leid und verspreche, es soll nimmermehr geschehen". Doch auch bei gezeigter Reue kannte der Kirchenkonvent keine Rücksicht und verurteilte: "Jörg Sigels Hausfrau wird des Vollsaufens vermög ihrer eigenen Geständnis um einen Saufgulden gestraft".

Alkoholismus betrachtete man damals nicht als krankhafte Sucht, sondern als Laster, das man nicht wie heute durch Heilung in einer Trinkerheilstätte, sondern durch harte Strafen zu bekämpfen gedachte. Wie langwierig und behutsam ist heute der Vorgang in der diakonischen Alkoholikerberatung - damals jedoch machte man kurzen Prozess: Ohne jegliche Therapie sperrte man Iaufend ein, ohne sich über die Nutzlosigkeit einer solchen "Heilmethode“ Gedanken zu machen.

Zuweilen war der Kirchenkonvent die letzte Rettung für geplagte Ehefrauen:
Hören wir hier als Musterbeispiel, was eine geplagte Frau zu Protokoll gab: „Mein Mann führt einen sehr liederlichen Lebenswandel, er ist dem Trunk ergeben, verschleift mir alles aus der Haushaltung; kommt er betrunken heim, schlägt und mißhandelt er mich, so daß ich öfters im Stall und auf dem Felde übernachten muß. Alle an ihm bisher versuchten Besserungsproben sind vergeblich, denn er ist schon 7 Monat im Zuchthaus gewesen und von dem Kirchenkonvent schon mehr als 20mal eingetürmt (=Ortsarrest) worden". Wenn alle Befehle und Ermahnungen nichts nützten, ebenso das fortwährende Einsperren im Ortsarrest, dann beantragte man beim Oberamtsgericht die Einweisung in ein "Zwangsarbeitshaus" - aber mehr fiel dem Kirchenkonvent nicht ein.

1820 wird Jakob Meilen, den seine Frau selbst anzeigte, weil "er dem Trunk sehr ergeben ist", erst mal für 24 Stunden eingesperrt. Das hielt aber nicht lange vor, und bald danach meldete seine Frau wieder, daß er "ein paarmal sich wieder vollgesoffen" habe. Nun wird er ernstlich ermahnt und ihm für den Wiederholungsfall die Zwangseinweisung in ein Ludwigsburger "Arbeitshaus" angedroht.

Überhaupt war die Drohung einer Meldung an das Oberamt öfters das letzte Mittel des Kirchenkonvents. Da seine Mitglieder ja einfache und ungeschulte Dorfbewohner waren, konnte man ihm keine unbeschränkte Strafgewalt übertragen. Seine Strafmittel, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in der Bemessung des Arrests, waren durch das Gesetz begrenzt und konnten hartgesottene "Missetäter" nicht mehr schrecken; so meldete man "hoffnungslose" Fälle dem Oberamt, und das konnte hart durchgreifen.

Solch ein Fall war 1780 gegeben: "Da Jakob Hacker in seinem Saufen, und liederlichem Wesen, unerachtet der vielfältigen Ermahnungen und Warnungen, immer noch fortfährt, und Klage vorgekommen ist, daß er erst am letztverwichenem Samstag sich wieder besoffen, und durch entsetzliches Fluchen und Lästern großes Ärgernis gegeben, so wurde er wider vor den Kirchenkonvent beschieden. Da er aber nicht erschienen, so wurde beschlossen, wie ihm schon mehrmalen zur Warnung gedrohet worden, sein ganzes ärgerliches Leben und unverbesserliches Betragen an das löbliche Oberamt zu berichten, und zu bitten, daß man eine ernstliche Bestrafung mit ihm vornehmen möchte, da er alle hiesigen Strafen so gar nicht mehr achtet".

Meist trank man sich ja seinen Rausch im Wirtshaus an, und deshalb werden laufend Wirte vorgeladen und angewiesen, dem und dem nichts zu trinken zu geben. Besonders wurde darauf geachtet, daß die (bis 1871) auf 22 Uhr angesetzte Polizeistunde auch eingehalten wurde. Der Wirt, der sie übertrat, wurde prompt mit dem "Nachtgulden" bestraft, und auch seine Gäste kamen nicht ungerupft davon. Die Polizeistunde galt nicht nur für die Wirtschaften, sondern allgemein: Jeder hatte sich ab dieser Zeit im eigenen Haus aufzuhalten, und wen der Nachtwächter oder die Scharwacht nach 22 Uhr auf der Straße antraf, der wurde angezeigt.

Karz, Lichtkärze, Spinnen, Spinnstuben
Gemeint ist hier der beliebte Lichtkarz. Im Winterhalbjahr fanden sich einmal die Woche 8 bis 10 Frauen und Mädchen zusammen, um jeweils bei derjenigen, die die größte Wohnstube hatte, bei unterhaltsamem Gespräch Garn zu spinnen. Es war dies ziemlich die einzige Unterhaltung für Mädchen um die Zwanzig, (denn das vorgeschriebene Mindestheiratsalter für Mädchen waren 22 Jahre !), wenn es schon so bald dunkel wurde, daß die Abende schier unerträglich lang waren. Was sollten sie tun? Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften wann unbekannt, an Büchern waren in keinem Haushalt mehr vorhanden als die Bibel, das Gesangbuch, das "Paradiesgärtlein" (ein "Bestseller", wie wir heute sagen würden, mit erbaulichen Geschichten) und vielleicht noch Heiligenlegenden. Außerdem war das Lesen kein Vergnügen, denn infolge unzureichenden Unterrichts und mangelnder Übung ging es nur äußerst stockend - und außerdem war da noch die unmögliche Beleuchtung durch Tranfunseln (Petroleumlampen waren noch unbekannt und Wachskerzen zu teuer), die das Lesen zusätzlich erschwerte. Mit dem Freund spazieren gehen? Unmöglich, das hätte sofort eine Vorladung wegen "Unzuchtverdacht" zur Folge - ich komme noch darauf zurück. Handarbeiten?

So blieb eigentlich nur das Spinnen, und da dies allein zu langweilig war, fand man sich gruppenweise bei denen zusammen, die über eine genügend große Stube verfügten. Seit eh und je verliefen diese Abende im traditionellen Rahmen ohne feste Vorschriften, und das verursachte dem Kirchenkonvent, dem solches Brauchtum ohne Reglementierung fast den Weltuntergang bedeutete, unendliche Bedenken.  Ein Dorn im Auge waren diesen Sittenrichtern die ständigen Ausreden, die sie zu hören bekamen: das sei doch schon immer so gewesen, das sei doch nicht verboten, da gebe es doch keine Vorschriften ....

Mißtrauisch beobachtete der Kirchenkonvent den unreglementierten Abläufe der beliebten Lichtkärze. Um hier endlich Nägel mit Köpfen zu machen, bestellten sie kurzerhand alle Familienväter, bei denen gewöhnlich diese Kärze abgehalten wurden, zum Befehlsempfang aufs Rathaus, wo der Kirchenkonvent immer seine Sitzungen abhielt. Ich will mal ausnahmsweise deren Namen nennen (Sie werden wohl schon gemerkt haben, daß ich sonst alle Namen ändere , um mir Vorwürfe zu ersparen !) : dem ABC nach : Bäßler, Kizenberger, Klopfer, Krehl, Leonberger, Mayer, Öchsle, Riegraf, Wied,. Wißmann, Wolf.

Um Ihnen zu zeigen, wie sich der Kirchenkonvent in die persönlichsten Dinge einmischte (denn eigentlich geht es doch niemanden etwas an, wen ich mir in mein Wohnzimmer einlade !), stelle ich aus dem langen Protokoll zusammen, was den Familienvätern nun befohlen wurde, und zwar am 3. Advent 1787: Wer künftig einen Karz in seiner Stube abhalten wolle, müsse vorher beim Kirchenkonvent um Genehmigung nachsuchen und eine Liste der Teilnehmerinnen beifügen; um "Weibspersonen" mit schlechtem Ruf eine Teilnahme zu verbieten!

Nochmals: Mädchen waren sie ab 18 bis zur Verheiratung - vorher waren's Kinder. Die Schar der Teilnehmerinnen musste gemischt sein : Etwa 8 Ledige und 4 Verheiratete - Mädchen allein würden mehr schwätzen als spinnen. Einzig männlicher Anwesender durfte der Hausherr sein – Brüdern oder gar Burschen aus der Nachbarschaft war der Zutritt streng verboten! Gegen das Singen während des Spinnens hatte der Kirchenkonvent nichts einzuwenden – nur es durften nur Choräle aus dem Gesangbuch sein! 1809 allerdings milderte man diese Vorschrift ab : Nun durften auch "weltliche" Lieder gesungen werden - aber keine "unzüchtigen", wie das Protokoll ausdrücklich vermerkt. Mit den heutigen Schlagertexten wäre man nach damaligen Maßstäben gar nicht mehr aus dem "Zuchthäusle", dem Ortsarrest, herausgekommen ! Doch weiter mit jener Sitzung von 1787: Gegenseitige Besuche mit anderen Kärzen waren verboten, außerdem jegliche Betätigung außer Spinnen, also auch zur Abwechslung Gesellschaftsspiele jeglicher Art.

Man mußte sich also strikt auf das Spinnen beschränken: Zwei Freundinnen nahmen am selben Karz teil, von denen die eine gelernte Schneiderin war. Sie hatte ihrer Freundin ein Kleid zu nähen, und brachte es der Einfachheit halber zum Karz zur Anprobe mit. Als dies der Konvent erfuhr, wurden die Mädchen vorgeladen und empfindlich bestraft, da sie den privaten Lichtkarz für eine gewerbliche Tätigkeit mißbraucht hatten!

Ein Vesper durfte gereicht werden, aber das durfte keinesfalls zur "Schmauserei“ ausarten. Um 11 Uhr (heute sagen wir : 23 Uhr) mußte der Karz beendet sein, und jede Teilnehmerin hatte sich auf schnellstem Wege nach Hause zu begeben - ohne gegenseitige Begleitung mit "Geschwätz" oder "Gelärm". Die Hausväter waren für die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich und hatten bei Nichteinhaltung Strafe zu erwarten. Nachdem sie das Protokoll unterschrieben hatten, wurden die Hausväter gnädigst nach Hause entlassen.

Nun ging es eine Weile gut. Aber eines Abends kam in einem Karz doch ein "Unfug" vor - Näheres wird im Protokoll nicht mitgeteilt - und "zur Mahnung für alle verbot der Kirchenkonvent kurzerhand sämtliche Kärze für den nächsten Winter. Ein Familienvater erlaubte trotzdem in kleinem Rahmen einen Karz. Das blieb natürlich nicht verborgen ! Hören wir das Urteil des Kirchenkonvents: "Johann Göck hat in seinem Haus einen Karz von fünf Mädchen und einem Weib gehabt. In Anbetracht, daß die Polizeistunde (= 22 Uhr) noch nicht umflossen war, auch vom Nachtwächter bestätigt wird, daß ein Unfug nicht vorgefallen sei, hat der Konvent beschlossen, dem Göck nur eine Strafe von 1 Gulden 30 Kreuzern anzusetzen". Das war der Preis für eine Gans !

In besonders begründeten und harmlosen Fällen gab der Kirchenkonvent auch eine Ausnahmegenehmigung, die Polizeistunde um eine Stunde zu überschreiten: 1833 heißt es da zum Beispiel: "...soll es diesen unbescholtenen Nachbarsweibern nicht verwehrt bleiben, mit ihren Töchtern bei der Rosa Laible zusammenzukommen, um da dem Spinnen sich inzugeben, aber um 11 Uhr (=23 Uhr) in Frieden auseinanderzugehen" .

Vorehelicher Sex, Zusammenschlupfen junger Leute
Einen großen Teil der Protokolle nehmen die Verhandlungen ein, die unter der Bezeichnung "Scortation" laufen. Das heißt auf deutsch Unzucht ! Fassungslos  kann man sich da beim Lesen der  . Protokolle nur immer wieder wundern, in welcher schier unerträglichen Weise da im intimsten Privatleben herumgeschnüffelt wird.  Und empört stellt man fest, daß dem Mitmenschen immer nur das Schlechteste zugetraut wird.

Vorhin erwähnte ich, daß es für ein junges Pärchen nicht ratsam war, allein miteinander spazieren zu gehen. In seinem Bestreben nach vollkommener Überwachung der "Sittlichkeit" war es dem Kirchenkonvent ein besonderes Anliegen, das - wie es offiziell hieß - "Zusammenschlupfen junger Leute" zu verhindern. Und hier war den gestrengen Sittenwächtern rein alles verdächtig: Betrat ein Bursch ein Mädchenzimmer oder ging ein junges Pärchen zur Abendzeit in waldigem Gelände spazieren oder hielt man sich gemeinsam zu lange im Stall auf oder verschwand man zur Erntezeit zu lange in hohem Getreide oder oder oder - : alles wurde dem Pfarrer als Vorsitzendem des Konvents hinterbracht und sofort als ein Fall von "Scortation" (Unzucht) vermutet. Und Anzeigen gab es in Hülle und Fülle! Es war ja gesetzliche Pflicht, jeden vermuteten Fall eines "Ärgernisses" anzuzeigen, und das wurde weidlich ausgenutzt, um unter dem Deckmantel "verantwortungsvoller Erfüllung der Untertanenpflichten" niederste Neid-, Rache- oder Mißgunstgefühle abzureagieren.
Manche legten sich sogar direkt auf die Lauer und schlichen Pärchen nach - und gaben dies auch später ungeniert zu Protokoll - Spitzeltum war ja lobenswerte Bürgerpflicht!
Einem Brautpaar, das in der elterlichen Wohnung lebte, wurde befohlen, binnen einer Woche zu Heiraten; widrigenfalls wurde eine Strafe wegen Zuhälterei angedroht!

Hochzeit von Schwangeren
Auch mit der Hochzeit war man noch nicht im sicheren Hafen! War erkennbar, daß die Braut schon in Umständen war, wurde dem Paar, das außerdem Strafe wegen "Scortation" zahlen mußte, eine richtige Hochzeit am Sonntag mit Glockengeläut und Brautkranz verweigert. Laut Regierungsverordnung von 1762 mußten solche „unehrlichen Hochzeiten", wie sie genannt wurden, am Mittwoch Abend in stillem Rahmen innerhalb der regulären Betstunde stattfinden. Und das kam gar nicht selten vor! 1793 wurden sogar drei solcher "Hochzeiten" am gleichen Mittwoch abgehalten!

Kopulationsbuch, Frühgeburten
Auch nach einer normalen Hochzeit befand man sich noch nicht in Sicherheit vor den moralischen Augen des Pfarrers, der es keinesfalls durchgehen lassen wollte, daß man gar den Brautkranz unberechtigt getragen hatte! Es war hier oft eine unangenehme Klippe zu überwinden : Die Geburt des ersten Kindes! Wurde diese gemeldet, war der erste Griff des Pfarrers zum Kopulationsbuch, dem Heiratsregister, und er schlug dort das Datum der Eheschließung nach ..... und wehe, es waren seitdem nicht über neun Monate vergangen! Sobald die junge Mutter das Wochenbett verlassen konnte, wurde sie in solchem Fall mit ihrem Ehemann vor den Konvent zitiert, und dann begann ein langes Verhör. Aus der überreichen Fülle derartiger Protokolle greife ich einen Fall mit gutem Ausgang heraus, musste aber lange nach einem solchen suchen! Er stammt aus dem Jahr 1786. Damit Sie einmal einen Begriff solcher Verhandlungen bekommen, gehe ich näher auf das Protokoll ein. Jetzt kann ich dies noch, denn nachher bei den unehelichen Geburten muß ich mich ganz kurz halten, denn dann werden die Protokolle in ihrer Peinlichkeit so kraß, dass sie fast schon an Pornographie grenzen und nicht mehr ausführlich behandelt werden können.

Beschäftigen wir uns also nun mit dem Protokoll:
Während der Ehemann zunächst draußen warten mußte, wurde zunächst die Ehefrau, Barbara Heidin, vernommen (den Frauennamen wurde damals ein -in abgehängt).  Verhör führte, wie immer, der Pfarrer als Vorsitzender des Sittengerichts, des Konvents, und er kam sofort auf die Hauptsache zu sprechen: Sie habe am 6.September des vorigen Jahres geheiratet und sei nun am 6.April niedergekommen; das sei um 9 Wochen 5 Tage zu früh - sie solle nun eine Erklärung über diese Zeitdifferenz abgeben!
Barbara verteidigte sich mit guten Gründen : Sie hätten sich ein Haus gebaut, und da sie sparen müßten, habe sie dabei hart mitarbeiten müssen; zuerst im Steinbruch, und dann habe sie Wasser und Lehm die hohen Staffeln hinauftragen müssen - und dadurch, wegen dieser laufenden Überanstrengungen, sei die Geburt zu früh eingetreten. Aus Erfahrungen bei früheren Verhandlungen war der Konvent nicht so schnell zu überzeugen und wollte nun wissen, ob sie bereits vor der Hochzeit Umgang mit ihrem Bräutigam gehabt habe. Barbara bestritt dies lebhaft: Vor Gott könne sie guten Gewissens bezeugen, dass sie weder vor noch nach dem Verspruch ( = Verlobung) verbotenen Umgang mit ihm gehabt habe, und sie beteuerte nochmals, daß an der frühen Geburt lediglich die schwere Arbeit beim Hausbau schuld sei.

Aber so schnell gab der Kirchenkonvent nicht nach und rief nun den Ehemann zum Verhör herein : Was er denn dazu zu sagen habe, daß sein Weib neun Wochen zu früh ins Kindbett gekommen sei? Auch er gab der Schwerstarbeit beim Hausbau die Schuld.Nun wollte der Kirchenkonvent wissen, ob er sich als Vater des Kindes bekenne und keinen Verdacht gegen sein Weib habe? Ja, er sei der Vater.

Nun stieß der Konvent nach: Ob er vor der Hochzeit nichts mit ihr gehabt habe? Aber auch er behauptete seine Unschuld: Er sei vor der Hochzeit nicht auf verbotene Art zu ihr gekommen, um ihr unehrlich beizuwohnen; das könne er mit gutem Gewissen und vor Gott bezeugen - vor der Hochzeit sei er von ihr rein geblieben. Doch der Konvent hatte aus ähnlichen Verhandlungen, wo auch schwere körperliche Arbeit als Ursache der Frühgeburt angegeben worden war, seine Erfahrungen und blieb mißtrauisch. Deshalb wurde als Sachverständige die Hebamme herbeigerufen. Da sie als Zeugin für solche Fälle oft gebraucht wurde, wurde sie gleich bei ihrer Anstellung als Gemeindehebamme als "gerichtliche Sachverständige" vereidigt, denn von ihrer Aussage hing meist das "schuldig" oder "unschuldig" des Konvents ab; aus diesem Grunde auch wird sie oft nicht als Hebamme, sondern als "Geschworene" bezeichnet. Nun, die Hebamme konnte in diesem Fall bezeugen, daß es sich wirklich um eine Frühgeburt handelte.

Es erfolgte also Freispruch - andernfalls wäre eine Geldstrafe fällig gewesen. Der Betrag für derartige "Unzuchtsvergehen fleischlicher Vermischung" (wie es in den Akten heißt) betrug im allgemeinen anderthalb Gulden, war also noch zu verschmerzen. Allerdings: "Noch"!, denn der Monatslohn eines ungelernten Arbeiters betrug (1763) nur 10 Gulden.

Unehelichen Geburten
Obwohl bei unehelichen Schwangerschaften Selbstanzeige Pflicht war, brachten die wenigsten den Mut dazu auf und warteten, bis sich die Schwangerschaft nicht mehr verheimlichen ließ. Öfters übernahmen die Mütter diese heikle Aufgabe für ihre Töchter, aber meistens suchte man dies zu verheimlichen, bis es eben allzu offenkundig wurde.  Oft machte auch die liebe Nachbarschaft die Anzeige beim Pfarramt.

Dann ließ der Pfarrer die Unglückliche durch den Büttel vor den Kirchenkonvent zum Verhör laden, und das liest sich dann im Protokollbuch folgendermaßen: „Anna Hans Buchers ledige Tochter, von weicher der allgemeine Ruf in dem Flecken erschollen, daß sie schwanger gehe, wurde heute vorbeschieden und gefragt, ob sie bekenne, daß sie schwanger seie, und wer der Vater zu ihrem Kind seie ...“  Keine Spur von einem tröstenden seelsorgerlichen Gespräch - das „sündige Verbrechen" wurde bis aufs äußerste angeprangert. Die Verhöre sind alle nach dem gleichen Schema angelegt mit ihren bohrenden Fragen nachdem Wann? Wo?

Hart griff man jedoch bei den unehelichen Geburten durch. Sie waren so überaus zahlreich, daß die umfangreichen Verhandlungsprotokolle mehr als die Hälfte des Raumes sämtlicher Protokolle beanspruchen. Abgesehen von den fehlenden Verhütungsmitteln lag der Grund sicher in dem späten gesetzlichen Heiratsalter: Bei Mädchen (wie bereits erwähnt) 22 Jahre, bei Burschen 25 Jahre. Deutlich geht das aus der Aussage einer unehelichen Mutter hervor, die beim Verhör angab, sie würde den Vater ihres Kindes ja so gerne heiraten, aber er sei erst 24 Jahre. Wenn ihm die Hochzeit trotz seiner "Minderjährigkeit" erlaubt würde, würden sie beide sofort heiraten.

Die Strafen waren hart und trafen oft nur die Mutter, wenn der  angegebene Vater alles bestritt. Zögerten aber die beiden trotz eingestandener Vaterschaft mit der Heirat, so wurde die Hochzeit kurzerhand befohlen! 1725: Adam Schladerer, ein „in allen Bosheiten geübter Kerl“ wurde zunächst zu einer  6wöchigen unbezahlten Arbeit für die Gemeinde verurteilt, „die Dirn aber 14 Tag incarcerirt (eingesperrt), und alsdann beide an einem Mittwoch ohne Kränzlein, Spielleut oder andre Ehren und ohne Betstund verheiratet werden sollen“. Selbst wenn es nicht zu einer Zwangsehe kam und die beiden eine sofortige Heirat versprachen, konnte dies das Urteil nur etwas mildern.

Glück hatte die werdende Mutter, wenn der angegebene Vater die Vaterschaft zugab und eine spätere Heirat versprach. Die beiden kamen dann mit einer Strafe von etwa 10 Gulden davon. Aber in eine schier aussichtslose Lage geriet sie, wenn die Vaterschaft bestritten wurde, denn die heutigen genetischen Möglichkeiten zur Vaterschaftsfeststellung, oder auch nur Blutgruppenuntersuchungen, waren ja unbekannt. Und wenn der Angegebene dann noch nachweisen konnte, daß die Schwangere mehrere "Freunde" gehabt hatte, war nichts mehr zu machen; auch kam es vor, daß die Unglückliche überhaupt keinen Namen nennen konnte, z.B. wenn es sich um einquartierte Soldaten handelte, von denen man nun keinen Aufenthalt mehr wußte. In allen solchen Fällen waren etwa 20 fl fällig, der Kaufpreis einer Kuh – oft unerschwinglich, wenn es sich um eine arme Magd handelte. Sie mußte dann ihre Strafe abarbeiten so in einer Art moderner Schuldknechtschaft.

Schlimm war es, wenn die Mutter ledig blieb – sie war laufend benachteiligt, besonders wenn es um eine Unterstützung ging.  Als z.B. Rosina Koching, die in ärmsten Verhältnissen lebte, 1754 für ihr Kind eine Schulgeldunterstützung beantragte (der Besuch der Schule war zwar Pflicht, mußte aber bezahlt werden), wurde ihr dies verweigert mit der Begründung, daß sie als "leichtfertige Dirne" dann mit einer anderen armen, aber "ehrbaren Ehefrau“ gleichgestellt würde.

Man war aber nun in der Klemme: zum einen war die Rosina wirklich zu arm, um das geringe Schulgeld zu zahlen; zum andern aber konnte man weder die beiden Kinder von der Schulpflicht befreien, noch dem Schulmeister zumuten, die beiden kostenlos zu unterrichten, denn er lebte ja davon. Schließlich fand man einen Ausweg: Die 8Ojährige Mutter der Rosina gehörte gleichfalls zu den Ortsarmen und erhielt wöchentlich 3 kr Unterstützung; man erhöhte nun diese Unterstützung von 3 kr auf 4 kr mit der Bedingung, daß nun die Großmutter mit diesem zusätzlichen wöchentlichen Kreuzer das Schulgeld für die beiden Enkel zu zahlen habe!

Ehestreitigkeiten
Kommen wir nun zu den Ehestreitigkeiten, die damals nicht als Privatsache betrachtet wurden. Eigentlich ist es ja fast eine Selbstverständlichkeit, daß es in jeder Ehe dann und wann mal „gewittert". Früher jedoch liefen die "lieben Nachbarn" pflichtgemäß" sofort zum Pfarramt, wenn es tagelang rumorte, und zeigten das "Ärgernis" an.
Das hört sich z.B. 1786 in einem Protokoll folgendermaßen an: Sie habe ihn einen liederlichen Kerl gescholten, der alles vertue und versaufe, und dann auf gegebene Ohrfeigen ihn gekratzt und gebissen! Haufenweise tauchen dergleichen Anzeigen auf, und die Folge war natürlich, daß das angezeigte Ehepaar zur nächsten Konventssitzung vorgeladen wurde und über seine Streitigkeiten ausführlich Bericht erstatten mußte.
Allerdings müssen wir Heutigen einen großen Unterschied gegenüber früher feststellen: Es herrschte ein bedeutend rauherer Umgang. Und hier erfährt man erst, wozu man die einzelnen Körperteile hat: die Nase zum Hineinbeißen, die Haare zum "in der Stube Herumzerren", die Zähne zum Einschlagen, den Rücken zum Draufschlagen. Und die Haushaltsgeräte haben regelmäßig eine Doppelfunktion : So diente eine Pfanne nicht nur zum Spiegelei-Braten - sie eignet sich auch hervorragend dazu, den Partner auf den Kopf zu schlagen! Und die Schädel waren damals hart, doch man kannte deren Belastbarkeit: Schädelbruch oder gar Totschlag beim Ehekrach kommt kein einziges Mal vor, höchstens der Dorfbader bekam etwas Arbeit und verdiente sich einige Kreuzer dabei! Und das beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit, denn die harte Feldarbeit ohne kräftesparende Maschinen gab auch den Frauen eiserne Muskeln!

In den Verhören wurde nun allerhand "schmutzige Wäsche" gewaschen; auch hier möchte ich - wie vorhin - nicht näher darauf eingehen und uns eine nähere Schilderung ersparen. Nachdem aber nun die beiden zerstrittenen Ehegatten genügend "Dampf abgelassen" und sich wieder beruhigt hatten, endete meist die Verhandlung damit, daß den beiden mit der Holzhammermethode und fern jeder „psychologischen Eheberatung“ unter allerlei Strafandrohungen wieder eine Versöhnung befohlen wurde, sich wieder zu vertragen und in Zukunft friedlich miteinander zu hausen. Das mußten sie unterschreiben, und meist hielt die Ehe dann auch wieder - denn nur in den seltensten Fällen kam es zu einer neuen Anzeige.

Die schnelle „Versöhnung auf Befehl“ klappte meistens. Was heute nicht mehr zu kitten wäre, war damals nicht so problematisch: Man schlug sich und vertrug sich wieder - man wußte, daß man im Grunde doch auf einander angewiesen war; und dem biblischen Wort hatte man ja auch zu gehorchen, was deutlich in einem folgendermaßen endenden Urteil ausgedrückt war: „... und zum Schluß beide Eheleute zur Führung einer friedlichen Ehe nachdrücklich zu ermahnen, wobei aber jedoch dem Eheweib zu erkennen gegeben, dass sie sich als Weib nach göttlichen Gesetzen dem Willen ihres Mannes sich schmiegen müsse.“

Was sollte eine geschiedene 40jährige Frau beginnen ? Unser modernes Scheidungsrecht, das jedem Ehegatten die Hälfte zuspricht, gab es nicht, Versorgungszahlungen des Mannes auch nicht; sollte sie betteln gehen?
Dann geriet sie bald in den Kreis der "Ortsarmen".
Zudem war eine damalige 40jährige alt, verbraucht, abgearbeitet, mitgenommen durch ein Dutzend Geburten und das Aufziehen der Kinder - wir dürfen keine Vergleiche mit einer heutigen Vierzigerin anstellen.

Eine Scheidung mußte im Gemeindeinteresse tunlichst vermieden werden, denn da es keine Ehegesetze wie heute gab, geriet eine geschiedene Frau oft bald in Armut und fiel dann im Alter der Gemeinde zur Last. Und diese trübe Zukunftsaussicht bewog auch immer wieder die Frau nachzugeben, besonders wenn dazu der Pfarrer vorhielt: „Sie ist als Weib schuldig nachzugeben, und es ist ihr auch vor dem Altar vorgelesen worden!“- welche diese seine Mahnung der Pfarrer im Protokoll getreulich vermerkte!

Doch auch der Mann war meist bereit, wieder "miteinander zu hausen“,  denn: wer sollte ihm sonst den Haushalt führen – womöglich hatte er auch noch ein Handwerk zu betreiben. Und dann noch den Haushalt ? Schon allein in der Küche konnte er ja nicht einfach den Elektroherd einschalten - und für das Herdfeuer gab es noch keine Streichhölzer: Mühsam mußte mit Stahl, Feuerstein und Zunder Feuer geschlagen werden. Und dann die Wäsche und und und! Kurzum, ein Junggesellenleben war damals  ungleich schwieriger als heute - und eine Haushälterin zu nehmen, war, wie wir vorhin hörten, eine heikle Angelegenheit, wenn man noch nicht den Siebzigern zuging: Man hatte schnell eine Anzeige wegen "Unzucht" am Hals. Also: Wohl oder übel mußte sich unter den üblichen ärmlichen Verhältnissen auch das zerstrittenste Ehepaar wieder arrangieren - ganz abgesehen davon, daß damals auch in evangelischen Landen eine Scheidung eine schwierige Angelegenheit war.

Auch älteren Personen war ein unverheiratetes Zusammenleben im selben Haus verboten, auch wenn getrennte Schlafzimmer vorgewiesen wurden - man konnte ja nicht wissen....,  und im Zweifelsfall hieß es nicht für, sondern gegen den Angeklagten! Als ein Witwer eine Haushälterin von auswärts in seine Wohnung aufnahm, wurde ihm dies untersagt und ihm empfohlen, aus dem Ort eine Taglöhnerin zu dingen, die des Abends nach Hause gehen könne!

Streitigkeiten in der Ehe entstanden fast nie wegen Untreue – das hätte eine sehr teure Strafe wegen "Unzucht" zur Folge gehabt, und die konnten sich die meisten kaum leisten - also blieb man halt wohl oder übel treu! Zwistigkeiten hatten meist zwei Ursachen: Entweder war der eine Teil zu verschwenderisch oder zu sparsam, oder die Frau widersetzte sich den Anordnungen des Mannes.

Stellung der Frau, Kriegsvogt
Eine damalige Frau war nicht einmal unbeschränkt geschäftsfähig und bekam - auch als Ehefrau - von der Gemeinde einen Vormund, den "Kriegsvogt", zugeteilt (der mit dem Ehemann nicht identisch sein durfte) - von der heutigen Gleichberechtigung war man noch weit entfernt, und bei Bürgerentscheiden, bei Bürgermeisterwahlen usw. waren nur die Männer beteiligt.

Genauso wie die Frau im öffentlichen Leben nichts mitzubestimmen hatte, verhielt es sich auch in der Familie. In dieser männlich orientierten Gesellschaft gab der Mann als Hausvater den Ton an, getreu dem Beispiel, das der absolut regierende Herzog gab. Und wie es beim Militär und in der Schule Prügel setzte, so auch zu Hause. Es war ziemlich allgemeine Ansicht, was einmal ein Ehemann unwidersprochen zu Protokoll gab: „Schläg bekommt sie allemal mit Recht ; wenn ich nicht recht habe, kriegt sie keine Schläg". Ohrfeigen, wenn die Frau nicht gehorchte, waren eine Selbstverständlichkeit und so gang und gäbe, dass der Pfarrer in einer Sitzung feststellte : "Wenn alle Weiber, die geschlagen wurden, weglaufen wollten, so wären wenige mehr in ihrem Hauswesen!“. 

Als eine Frau, die schon öfters ihren Mann wegen übermäßigen Schlagens angezeigt hatte, wiederum sich auf dem Pfarramt wegen Mißhandlung durch ihren Mann beschwerte, wurde sie im Protokoll geradezu als lästige "Querulantin" bezeichnet. Überschritt die Züchtigung ein gewisses Maß, so gab es einen Tadel: 1758 hatte Johannes  Bräuer im Weinberg "sein Weib, um eine geringen Ursach willen, mit der Peitsche zu Boden geschlagen und durch wiederholten Streich über den Kopf dermaßen hart getroffen, daß sie eine spannenlange Wunde bekommen, daran der Barbierer lange zu curieren gehabt, und sie in öftere Ohnmachten gefallen, so wurde dieser Frevel ernstlich verwiesen". Ein Verweis - das war alles; erinnern wir uns noch, wie hart ein "Zum Donnerwetter!“ bestraft wurde?

Da es praktisch keine Scheidung gab,  bewog dies auch immer wieder die Frau nachzugeben, besonders wenn dazu der Pfarrer vorhielt: „Sie ist als Weib schuldig nachzugeben, und es ist ihr auch vor dem Altar vorgelesen worden!“

Schulordnung
Kommen wir nun zu schulischen Angelegenheiten, denen der Kirchenkonvent viel Zeit widmen musste: Die umfassende "Schulordnung" Herzog Christophs 1559 hatte zwar die allgemeine Schulbildung - auch für Mädchen - angestrebt, dieses Ziel aber doch nicht erreichen können. Erst Herzog Eberhard III. führte 1649 die allgemeine Schulpflicht verbindlich ein. Aber dies brachte in den Dörfern größte Probleme, mit denen noch nach über hundert Jahren der Kirchenkonvent zu kämpfen hatte: Denn die Mehrzahl der bäuerlichen Familien war gar nicht glücklich darüber! In den Dörfern herrschte ja die Meinung, dass man sozusagen ein geschlossener Betrieb sei und jeder mitzuhelfen hatte. Daß die Kinder lesen und schreiben lernen sollten, sahen sie nicht recht ein - wozu auch? Zeitungen gab es nicht, Briefe schrieb man nicht (man hätte sie ja selber zum Empfänger tragen müssen!). Die Kinder wurden daheim zum Arbeiten gebraucht – und auch für die Jüngsten gab es noch irgendeine Beschäftigung - und sei es, auf dem Acker die Stechmücken vom Zugvieh wegzuscheuchen. Mit allen Gründen versuchte man, die Kinder vom Unterricht fernzuhalten, und das war nun nach über hundert Jahren noch nicht viel besser geworden. Laufend gab es Verhandlungen und Strafen wegen der Schulversäumnisse - wir werden noch davon hören. Und auch davon, wie die "Stundenplangestaltung“ auf die landwirtschaftliche Kinderarbeit Rücksicht nahm. Besonders schlimm war das Fehlen während der Sommerschule, obwohl diese bereits auf äußerster Sparflamme brannte!

Doch zuerst kurz zur Aufsichtspflicht des Kirchenkonvents über den Unterricht:
Zweimal jährlich wurde Visitation gehalten und geprüft, was gelernt worden war. Der Lehrplan war einfach : Als Hauptfach Religion, und als "Nebenfächer" etwas Lesen, Schreiben und Rechnen - aber in diesem Fach nur Zusammenzählen und Abziehen; Malnehmen und Teilen wäre zu kompliziert gewesen; hatte doch schon das "Zusammenzählen benannter Zahlen" (wie es genannt wurde) seine Schwierigkeiten: das heutige Addieren stellenweise mit dem "behalte soundsoviel" im Dezimalsystem war nicht möglich: Ich nenne als Beispiel nur das Zusammenzählen von Geldbeträgen: 1 Gulden hatte 60 Kreuzer, 1 Kreuzer hatte 6 Heller, 1 Schilling hatte 12 Heller, 1 Batzen hatte 4 Kreuzer, 1 Golddukaten hatte 5 Gulden 45 Kreuzer ....

Das konnte man nicht wie heute einfach untereinanderschreiben! Da mußte man jede Sorte für sich zusammenzählen und dann umrechnen. Und so ging es auch bei Maßen und Gewichten, also bei Eimern, Fudern, Imis, Schoppen, Fuß, Ruten usw. usw. - das Rechnen mit diesen benannten Zahlen hatte schon seine Tücken!

Da die Prüfungskommission, also der Kirchenkonvent, außer dem Pfarrer nur aus einfachen Bauern und Handwerkern bestand, die ja ihrer Herrschaft noch leibeigen waren, und selbst mit dem Lesen und Schreiben ihre Mühe hatten, waren die Anforderungen natürlich gering; gab es doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein noch genug Einwohner, die die Protokolle nach Verhören mit drei Kreuzen unterzeichneten, weil sie ihren Namen nicht schreiben konnten.

Visitationsberichte
Der Pfarrer war auch der Vorgesetzte des Schulmeisters und hielt jährlich zweimal eine Schulvisitation ab. Hören wir nun den Winterhalbjahr- Visitationsbericht von 1738:

"Heute ist die Winterschul ordentlich visitiert worden und darinnen Kinder gewesen: Knaben 59, Mägdlein 56, zusammen 115. Lectio Biblia (=biblischer Prüfungsstoff) war Lukas Kap. 17, und im Augsburger Bekenntnis der Artikel 4 (= Luthers Rechtfertigungslehre). Der Zustand der Schule (= gemeint ist nicht der bauliche Zustand des Schulgebäudes, sondern das Können der Kinder) war so beschaffen, daß wir Gott dafür gedankt und mit allem wohl zufrieden gewesen, indem sich die Kinder, in allem, was ihnen zugekommen, gar wohl haben hören lassen, und hat uns unter anderem gar wohl gefallen, daß 39 Knaben und so viele Mägdlein gar artig und deutlich geschrieben. Gott gebe noch ferner sein Gedeihen zu unseren Pflanzen". (Man muß schon genau hinhören, um unter diesem Lob den wahren Sachverhalt zu erkennen: Man war froh, daß wenigstens zwei Drittel der Schüler einen Text abschreiben konnten!)

Im übrigen war der  Schulmeister als solcher ziemlich frei von senem vorgesetzten, dem Pfarrer, – jedoch nicht in seiner Eigenschaft als Mesner. Da hatte er allerhand auszuhalten, und als Gipfel der Kleinlichkeit kann man wohl bezeichnen, wie ihn der Pfarrer einmal vor den Kirchenkonvent zitierte und wegen "Unsauberkeit" zusammennstauchte. Was war geschehen? Eine Spinne hatte einige Fäden zwischen Kanzel und Wand gezogen! Wohlgemerkt: Es handelte sich nicht etwa um ein Spinnennetz, sondern um einzelne Fäden, die die Spinne vielleicht erst kurz vor dem Gottesdienst zogen hatte! Und was mich so stört an dieser Angelegenheit: War es wirklich notwendig, den Mesner wegen dieser Lappalie vor dem versammelten Kirchenkonvent abzukanzeln? Hätte nicht der Pfarrer die zwei oder drei Spinnfäden, wenn sie ihn so irritierten, mit einem Wisch selbst abreißen können- oder, falls das unter seiner Würde war - hätte man das nicht in einem kurzen Gespräch unter vier Augen auch bereinigen können?

Fehlen in der Schule, Ungehorsamsgulden
Die Eltern hafteten für das Kommen der Kinder. Wie ich schon vorhin bemerkte, waren Versäumnisse häufig, und der Konvent mußte hart durchgreifen. Nach jeder Visitation wurden die Väter der Kinder mit den meisten Versäumnisstrichen in der Anwesenheitsliste zur nächsten Kirchenkonventssitzung befohlen, um zur Rechenschaft gezogen zu werden; Nichterscheinen wurde mit dem „Ungehorsamsgulden" bestraft. So mussten z.B. 1787 neun Väter wegen Versäumnissen der Kinder je 3 Gulden Strafe zahlen; das war viel Geld, dafür fertigte der Schuhmacher 2 Paar Schuhe!

Unterrichtsstunden, Schule schwänzen
Während heute die wöchentliche Stundenzahl im staatlichen Lehrplan vorgeschrieben ist, war hierin damals der Konvent als "Schulaufsichtsbehörde" ziemlich frei. Da im Sommer die Kinder in der Landwirtschaft gebraucht wurden, kam der Konvent dem entgegen und bestimmte 1788, daß die älteren Schüler sommers, von 6 bis 7 Uhr und die jüngeren von 7 bis 8 Uhr Schule haben sollten; 1804 wurde im Sommer die Unterrichtszeit um eine Stunde verlängert, also von 6 bis, 9 Uhr. Im Winterhalbjahr war die Schulzeit länger, aber hier setzten schon Heizungs- und Beleuchtungsprobleme enge Grenzen. Hier war es nun oft die fehlende Bekleidung, die für Schulversäumnisse herhalten mußte. Und hier läßt sich bei der Durchsicht der Protokolle feststellen, daß der Konvent in seinen Strafbemessungen Verständnis zeigte: Bei fehlenden Schuhen (im Sommer waren die Kinder barfuß) oder Umschlagtüchern (Mäntel waren meist unerschwinglicher Luxus) wurde nicht mehr um Geld gestraft, sondern nur gemahnt - woher sollten die Väter das Strafgeld nehmen, wenn sie ihren Kindern nicht einmal Winterkleidung kaufen konnten?

Aber kein Strafen half ! In der Herbstvisitation 1790 wurden sogar 14 Väter bestraft, deren Kinder trotz der kurzen Unterrichtszeit allzu häufig gefehlt hatten. Beliebt waren bei Mädchen die Entschuldigungen, sie müßten auf Geschwister im Säuglingsalter oder kurz darüber achten, während die Eltern auf dem Feld arbeiteten. Kein Wunder, dass unter diesen Verhältnissen das Leistungsniveau äußerst gering war. Als Beispiel diene der Visitationsbericht von 1792 : Von den 75 Knaben konnten 45 lesen, 30 jedoch nur buchstabieren; 45 konnten abschreiben, aber nur 8 konnten "dictiert" schreiben! Von diesen 75 Knaben wurden nur 21 unter die "rechnenden" gezählt!

Dem Fleiß der Schüler wurde in der Schule mit dem Stock nachgeholfen, aber zuweilen brachten dem die Eltern wenig Verständnis entgegen; so lesen wir 1814: „Provisor (Unterlehrer) Wegner brachte vor dem Kirchenkonvent klagbar an, daß des Johannes Dauners Weib zu ihm während des Schulhaltens in die Schulstube gerannt sei, ihn mit Vorwürfen, daß er ihren Buben mißhandelte, überhäuft, ihn geduzt und einen Eselstreiber geheißen, da er doch dem Buben, der seine Lektion nicht gelernt, nur eine einzige Tatze gegeben habe". Solch ein Betragen konnte der Kirchenkonvent nicht durchgehen lassen, und da bei der Daunerin wegen Armut keine Geldstrafe einzutreiben war, wurde sie ins "Zuchthäusle", also in den Ortsarrest, gesperrt.

Sonntagsschule
Mit der Schulentlassung nach dem 6. oder 7.Schuljahr war jedoch die Schulpflicht nicht beendet; es begann die "Sonntagsschule". Die Verpflichtung hierzu reichte bis zu einem Alter von 20 bis 24 Jahren - die Altersgrenze schwankt in den einzelnen Ortschaften. In der Kinderkirche (damit ist also nicht der heutige Kindergottesdienst gemeint !) wurde die Predigt nochmals besprochen, wurden Verse und Psalmen gelernt, als Hausaufgabe aufgegeben und im jährlichen Pfingstexamen geprüft. In der Sonntagsschule wurden die Kenntnisse aus der Schulzeit erweitert - und hier dürfen wir nicht viel voraussetzen, denn in den 6 bis 7 Schuljahren wurde kaum das Notwendigste an Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt - wann auch?

Die Sonntagsschule fand am Sonntag Nachmittag statt, "Buben" und "Mädchen" (wie das klingt bei diesem Alter!) in wöchentlichem Wechsel. Hier häufen sich Versäumnisse und Strafen noch mehr, und wir haben wohl Verständnis für das Fehlen: Der Sonntag Nachmittag war die einzige Freizeit, denn der pflichtmäßig zu besuchende Vormittagsgottesdienst dauerte zwei Stunden, und abends war bereits um 22 Uhr Polizeistunde, zu der man nicht mehr außerhalb der eigenen Wohnung sein durfte.

Der Übergang von der einen zur andern Schule war mit einer Prüfung verbunden. Hören wir hierzu ein Kirchenkonventsprotokoll aus dem Jahr 1810. „Heute wurde die der Schule entwachsene Jugend in der Religion und was sie sonst in der Schule an Sprüchen und Liedern (= Chorälen) gelernt und in der Sonntagsschule fortzusetzen hat, vor dem versammelten Kirchenkonvent in der Schulstube feierlich geprüft, dieselbe nach Umständen und Bedürfnissen ermuntert oder gewarnt und zurechtgewiesen. Einem jedem wurde ein Wecken, und denen, die sich im Auswendiglernen, Schreiben und Lesen und in der Erkenntnis ausgezeichnet haben, wurden Prämien ausgeteilt". Erst aus der Schlußbemerkung erfahren wir also, daß auch Schreiben und Lesen geprüft wurde - aber das waren ja auch "Nebenfächer" ! Von einer Prüfung im Rechnen sah man anscheinend als zu hoffnungslos ab! Der allgemeine Kenntnisstand muß aber meist erschreckend gewesen sein, denn 1811 belegte man die Eltern von 9 Schülern mit Geldstrafen, weil sie dem Fleiß ihrer Sprößlinge zu wenig nachgeholfen hatten! Aber wie sollten diese denn dazu im Stande sein - viele konnten, wie wir vorhin hörten, ja selbst kaum ihren Namen schreiben!

Die Sonntagsschule hatte schon ihre Berechtigung. Aber nun stellen wir uns solch einen geplagten Bauernknecht oder Handwerkslehrling oder -gesellen, oder auch eine Dienstmagd - und auch die Söhne und Töchter der Einwohner waren nichts anderes - stellen wir uns also so jemanden vor: Die ganze Woche einschließlich Samstag wurde schwer geschafft vom Morgen bis zur Abenddämmerung (Jugendschutz oder Gesetze gegen Kinderarbeit gab es nicht), und auch am Sonntagmorgen war der Stall zu versorgen, und anstatt nun wenigstens am Sonntag Nachmittag dem Vergnügen nachgehen zu können, waren Kinderkirche und Sonntagsschule zu besuchen - da blieb nicht viel Freizeit, denn zur Polizeistunde um 22 Uhr hatten er oder sie sich in der Schlafkammer zu befinden!

Kein Wunder, daß sich hier die Versäumnisse häuften, und die Kirchenkonvente sich laufend mit der Widerlegung von Ausreden und der Verhängung von Strafen zu befassen hatten. Man kam gar nicht mehr nach, und so ließ man schließlich jeweils eine Reihe von Versäumnissen zusammenkommen und schlug dann summarisch zu. Das liest sich dann so:
"Desgleichen wurden auch die jungen Leute, welche die Kinderlehren versäumten, zur Strafe gezogen.  Jakob Birkenmaier mit 30 kr, Christian Wibel mit 40 kr (= dafür bekam man 5 Pfund Rindfleisch !) , Ludwig Klump mit 6 kr, Adam Dörrer 42 kr“. Widerspenstige wurden schnurstracks eingesperrt; ein Beispiel von 1792 : "Wurden Leonhard Idler, Dienstknecht bei dem Adlerwirt, und Friederich Zeitler, Lehrling bei dem Zimmermann Beer, welche sich zum Besuch der Sonntagsschule nicht bequemten, und die Kinderlehren versäumten, vor den Kirchenkonvent zitiert und ihnen zugleich anbefohlen, vorhero die Sonntagsschule zu besuchen. Sie erschienen aber weder an dem einen noch dem andern Ort, dahero der Amtsknecht nach ihnen geschickt wurde und ihm anbefohlen, beide junge Leute wegen ihres bezeugten Ungehorsams 24 Stunden einzutürmen". In manchen Gemeinden ging man auch dazu über, einen Satz von 6 kr für jedes Fehlen anzusetzen und diesern Betrag beim Dienstherrn zu kassieren, der ihn dann vom Lohn abzuziehen hatte!

Hexen und Teufel
Der Glaube an das Wirken von Hexen und Teufeln war weit verbreitet; und eine Hexe gescholten zu werden, war nicht nur beleidigend, sondern konnte auch lebensgefährlich werden, denn erst 1782 fand die letzte Hexenverbrennung statt. Aber wenn es auch nicht ans Leben ging, so wurde man in dieser abergläubischen Zeit doch vom ganzen Dorf gemieden, wenn man als Hexe galt. Was wunder, wenn sich jede Frau gegen eine solche Bezeichnung wehrte. Aber der Glaube an die Hexenkunst war weit verbreitet, und vielen Leuten traute man geheimnisvolle Kräfte zu und bat sie um Hilfe oder wollte sich gegen sie schützen.

Gegen alle diese mit dem Teufels- und Hexenglauben verbundenen Auswüchse schritt der Kirchenkonvent ganz energisch ein, und ein großes Verdienst gebührt hierbei den Pfarrern, denn auch bei manchen Mitgliedern des Kirchenkonvents - es waren ja einfache Bauern und Handwerker wie die anderen Bürger, wie ihre Nachbarn - spürt man doch ab und zu den Zweifel: Wer weiß, ob nicht doch ... ?

Es wäre nun leicht, aus der Fülle der Protokolle einen Sensationsvortrag im Stil der Regenbogenpresse zusammenzustellen. Dieser Gefahr möchte ich nicht erliegen und bringe deshalb nur einige Beispiele in aller Kürze, sachlich und sparsamst  kommentiert, und zwar zu jeder Variation dieses Themas ein bezeichnendes Beispiel:

Erst mal ganz allgemein: Die typische Hexe
1791 erstatteten Caspar WobeI und Hans Balz beim Kirchenkonvent Anzeige und gaben zu Protokoll: "Nicht nur im Flecken, sondern auch auswärts, werde die Verleumdung umgetragen, Hans Beier behaupte, ihre beiden Weiber seien im Stall reitend auf den Kühen angetroffen worden Sie geben Hans Wied als Zeugen an, dem es der Hans Beier auch erzählt habe." Nun wird dieser Wied vorgeladen und befragt, was er von dieser "Hexerei" wisse. Und dieser sagt aus, er habe davon nicht nur von dem Beier gehört, sondern auch die Barbara Rutterin habe ihm gesagt, daß "die Balzin als Hexe im Stall auf der Kuh gesessen habe“. Nun hatte der Kirchenkonvent also zwei Spuren zurückzuverfolgen, und es kam wochenlang zu vielen Verhören und Zeugenvernehmungen. Und das Bedrückende ist: Zwar bezog sich jeder Verhörte auf einen anderen, der es ihm erzählt habe, aber niemand äußerte irgendeinen Zweifel, daß es durchaus möglich sei, daß Hexen im Stall auf Kühen ritten. Glücklicherweise gelang es schließlich dem Kirchenkonvent, die Sache aufzuklären und die beiden Frauen zu rehabilitieren.

Was aber wäre geschehen, wenn die Klärung nicht gelungen wäre? In dieser hexen- gläubigen Zeit wären die Frauen und ihre Familien wahrscheinlich viele Jahre, wenn nicht ihr ganzes Leben, im Dorfe diskriminiert gewesen! Nach vielen Wochen konnte der Urheber dieses Geredes festgestellt werden, der die Mär frei erfunden hatte - aus Spaß oder aus Bosheit ? Das ganze Dorf atmete befreit auf, dem Verleumder aber verging das Lachen, als ihm das Urteil verkündet wurde; Es  betrug eine 'Kleine Frevel' , und dieses alte Strafmaß bezeichnete 3 fl 15 kr, also 195 Kreuzer, und das war eine Summe, die ein Ortsarmer in 35 Wochen als Unterstützung erhielt !

Und nun als Variation die 'böse Hexe' ;
1759 verklagte Johannes Buchlen die Anna Schmitt, daß sie sein Weib "für eine Hex ausschreie, als hätt sie ihre Katz und Kuh verwünscht". Die vorgeladene Anna nahm reumütig alles zurück, denn sie konnte die Verzauberung ihrer Tiere ja nicht beweisen, und kam deshalb mit einer Verwarnung davon, "dabei aber wurde ihr ihr Aberglaub aus dem Wort Gottes widerlegt und ernstlich verwiesen; ihro auch zugleich beditten, daß, wenn sie künftig die geringste Beschuldigung wieder von sich hören lasse, sie unfehlbar darüber zur Straf gezogen werden solle."

Nun zur nächsten Variation, zur sogenannten 'guten Hexe':
Manchen Personen traute man heilbringende zauberische Kräfte zu und bat sie um Hilfe. 1727: Anna Fängerin, die Schmerzen im Arm hatte (heute würden wir vielleicht sagen: Sie hatte Rheuma) war der Meinung, wie sie später zu Protokoll gab, diese Schmerzen seien ihr von einer auswärts wohnenden, übelwollenden Base angehext worden. Um dies Schmerzen loszuwerden, bat sie die Katharina Schladerin, der sie übernatürliche Kräfte zutraute: „Käther, ich bitt Euch, helfet mir! Wann Ihr mich nur an den Füßen anreget, so wär mir geholien !“ Die Katharina, die wußte, in welchen gefährlichen Ruf sie durch diese öffentlich am Brunnen gestellte Ansinnen kommen konnte, wehrte sich dagegen mit dem Bemerken: „Und wenn ich dich überall anrege, so kann ich dir doch nicht helfen - ich bin doch keine Hex !“  Die Anna blieb jedoch bei ihrer Meinung, die Hexenkräfte der anderen könnten ihr helfen, und so wurde der Streit immer heftiger und landete schließlich vor dem Kirchenkonvent. Nach langer Verhandlung wurde die Anna, weil sie die Katharina als eine Zauberin bezeichnet hatte, zu einer Strafe von 10 Gulden verurteilt. Das war der Wert einer halben Kuh !

Ebenso gefährlich für die Betroffenen waren Verwünschungen: Hierzu ein Beispiel aus dem Jahr 1764: Maria Staudingerin hatte bei Grenzstreitigkeiten im Weinberg ihre Nachbarin Elisabeth Frischin im Verdacht, heimlich einen Grenzstein versetzt zu haben und verwünschte sie öffentlich folgendermaßen: „Sie soll feurig mit ihrem Mann auf dem Platz sitzen, wo vorher der Stein gewest seie, und das nicht gar immer und ewig, sondern nur so lang, bis all Jahr ein Vöglein komm und nehme ein Schnäblein davon; ihre Tochter solls in ihre Bibel schreiben !“  Wegen der Grenzstreitigkeit verwies der Kirchenkonvent die Maria an das Schultheißenamt; für weltliche Streitigkeiten war das weltliche Gericht zuständig. Aber vom Konvent „wird ihro, um dieser höchst ärgerlich und frech-gottlosen Anwünsch-Rede willen 43 kr Straf angesetzt, mit ernstlicher Gewissens-Rügung, sowohl diese unbesonnenen Reden Gott herzlich abzubitten, als auch in Zukunft nichts mehr dergleichen zu bedenken und gute Nachbarschaft zu halten".

Ebenso, wie man dem Aberglauben anhing, es sei möglich, anderen Böses anzuwünschen, war man auch der Meinung, bestimmte Personen hätten die Fähigkeit, böse Geister zu vertreiben.  Solch ein Fall von Geisteraustreibung 1759: Hierzu genügt kommentarlos ein Zitat aus dem Protokoll: „Da Rudolph Dauber sich zu abergläubischem Tun schon lange Zeit her brauchen läßt und das kranke Vieh räuchert und dabei viel unnötiges Geschwätzwerk treibt, wodurch dem sündlichen Aberglauben aufgeholfen wird: So wurde ihm dies nachdrücklich verboten". Weil hier niemand an seinem Ruf geschädigt wurde, verzichtete der Konvent auf eine Strafe.

Teufelsbeschwörung, Schatzsucherei
Eine letzte Variante dieses Gebietes haben wir noch in der Teufelsbeschwörung, verbunden mit Schatzsucherei: 1757 lautete die Anklage, Johann Halter habe einen Mann im Haus gehabt, den er zum "Geister-Beschwören und Schatz-Graben gebraucht habe". Er gab zu Protokoll: "Es seie ein fremder Mann in sein Haus gekommen zur Abendzeit und habe gesagt, er habe gehört, daß es in seinem Haus nicht sicher seie, und man ein Gespenst darin spüre, er seie imstand, dasselbe zu vertreiben. Darauf seien sie in den Keller gegangen, wo man den Geist spüre; da hab der Fremde denn in allen Ecken herumgeschaut und vieles gemurmelt, und habe da und dort Salz herumgestreuet, bis er endlich gesagt habe, jetzt seie der Geist hinaus".

Jetzt wurde der Nachtwächter vernommen, auf dessen Anzeige alles zurückging, und er sagte aus, daß er im Vorbeigehen gehört habe, daß im Keller etwas geschah von 11 Uhr nachts bis nach 1 Uhr nachts, "auch ein Feuer und Flamme vor dem Fenster im Oberstock sich habe sehen lassen!"  Aber es war nicht der Teufel, der hinausgefahren war!  Im weiteren Verhör konnte nämlich Johann Halter den vermeintlichenTeufels-Schwefel aufklären: "Sein Weib habe den Feuerzeug auf dem Fensterrahmen eingebrannt" - das heißt: in der damaligen Weise des Feuermachens hatte sie aus Stahl und Feuerstein Funken in den Zunder geschlagen und diesen dadurch zum Glimmen gebracht, was natürlich mit etwas Qualm verbunden war; als Widerlager hatte sie aus Bequemlichkeit den Fensterrahmen benutzt. Damit hatte sie allerdings gegen die Feuerordnung verstoßen, und wegen der Feuersgefahr wurde ihr solche Handlungsweise für die Zukunft streng verboten.

Also, der Teufel war es nicht, der mit Blitz, Gestank und Qualm zum Fenster hinausgefahren war, und der abergläubische Nachtwächter wurde gehörig zurecht gewiesen. Nachdem auch Johann Halter seinen Rüffel bekommen hatte, wurde er weiter gefragt, wie es denn mit der Schatzsucherei gewesen sei, die - wie man im Dorfe munkele - der Fremde ebenfalls in seinem Keller vorgenommen habe ? Er gab zu, daß ihm der Fremde ebenfalls von einem großen Gold- und Silberschatz im Keller erzählt habe. Es habe sich aber als leeres Geschwätz erwiesen, der Fremde habe nichts gefunden und sei
schließlich von ihm fortgejagt worden. Seitdem habe dieser sich nicht mehr bei ihm blicken lassen!

Die „Gute Alte Zeit”
Ja, es ging zuweilen doch etwas seItsam zu in der "guten alten Zeit', die nach unseren heutigen Begriffen doch nicht in allem so gut war! Es war aber ein Umfeld, das unseren Ahnen genau so selbstverständlich war wie uns Heutigen das unsrige. Deshalb: seien wir sehr vorsichtig mit unseren Wertungen und hüten wir uns vor übereilten Urteilen - auch von unserer Gegenwart wird man in 250 Jahren anders denken, als wir es heute tun!

Das war nun die "Gute Alte Zeit", die wir so oft nur verklärt durch eine rosarote nostalgische Brille sehen, von einer anderen Seite betrachtet - von ihrer eigentlichen! Der obrigkeitliche Schnüffelstaat mit seiner behördlich verordneten Spitzeltätigkeit und dem damit verbundenen Denunziantentum, das "amtliche" Einmischen in die persönlichsten Angelegenheiten, bei denen alles befohlen und verordnet wurde - all das ist wohl nicht mehr unser Ideal! Zwar hatte auch die damalige Zeit neben ihren Schatten- sicher auch ihre Sonnenseiten, aber ich glaube, wir sehnen uns nicht zurück. Bleiben wir lieber in unseren Verhältnissen, wenn auch in unserer Gegenwart nicht alles Gold ist, was glänzt!

Und nun zum Schluß noch eine kleine Bemerkung - für jeden zum Nachdenken:
Ab der Mitte des vorigen Jahrhunderte änderte sich vieles, mitbedingt durch die 48er Revolution: Die Mutter eines unehelichen Kindes wurde nicht mehr bestraft, man wurde nicht mehr bestraft, wenn man sich in der Kirche auf einen fremden Platz setzte - im Protokoll wurde folgender Beschluß festgehalten: „man sitzt, wie man kommt“.  Fehlen im Gottesdienst war nicht mehr strafbar - aber gleichzeitig häufen sich in den Protokollen die Klagen, daß der Kirchenbesuch nun beängstigend nachlasse - wundert uns dies?

© Wilhelm Streng

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